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Rede zur Eröffnung der Ausstellung
„Susanne Maurer. Malerei“,
im Kunstverein Ingelheim am 26. Mai 2018
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
"Ich bin Landschaftsmalerin", sagt Susanne Maurer, das hört man heute selten, und darin klingt nicht nur ein Quäntchen Trotz mit, angesichts einer Kunstszene, die sich zwischen Medien, Performance und Politik bewegt, sondern auch ein bisschen Selbstironie. Als ob sie sagen wollte, Ihr werdet's nicht glauben, aber das gibt es heute noch, auch im 21. Jahrhundert, und das ist gut so. Die Malerin reklamiert also ganz bewusst einen traditionellen Begriff für ihre Arbeit.
"Landschaftsmalerei"
Bei Wikipedia lesen wir: "Die Landschaftsmalerei ist neben dem Historienbild, dem Porträt, dem Genrebild und dem Stillleben eine Gattung der gegenständlichen Malerei." Stimmt das? Schauen Sie doch einmal genau hin. Was ist da das Gegenständliche? Das sind doch nur farbige Flächen, Pinselstriche, Gesten, bunte Flecken, eigentlich ungegenständlich (schönes deutsches Wort). Gegenstandslose Malerei, aber mit illusionistischer Wirkung. Wir sehen die Landschaft sofort, auch ohne dass uns das Genre angekündigt wird.
Wir wollen es genauer wissen und die Geographie identifizieren. Aber die Titel helfen nicht weiter, nur Jahresangaben und Nummern. "Aber das ist doch." und "Der Blick von . auf ." möchte mancher ausrufen und ist sich sicher, einen Ort, eine Szenerie wiederzuerkennen.
Stimmt alles nicht. Es sind keine bestimmten Landschaften. Susanne Maurer malt nicht plein air an der Staffelei mit Sonnenhut, sie macht auch keine Skizzen, die sie dann im Atelier als Gemälde ausführt. Sie macht auch keine Fotos als Vorlage. Sie schaut nicht abwechselnd auf die reale Landschaft und das entstehende Bild, sie schaut nur auf das Bild. Und die Leinwand liegt meistens sogar flach auf dem Tisch oder auf Böcken, ist also eine flache, zu bearbeitende Ebene, nichts weiter.
In letzter Zeit macht ihr das Skizzieren draußen schon Spaß, aber nur einfach so. Und - das muss man hier einfach erzählen, sie skizziert, nachdem das Bild fertig ist. Und zwar in kleinen Büchlein. Ihr "Skizzenbuch" enthält mit Buntstift nachempfundene Paraphrasen der großen Gemälde, aus Gründen der Identifizierung. Daneben steht das Format, der Titel und vielleicht auch der Besitzer oder der Ort, wohin das Bild gekommen ist. Also ein Malertagebuch im umgekehrten Sinn. Wie ein kleiner gezeichneter Katalog, Auflage 1 und unverkäuflich.
Aber das ist schon die Nachbearbeitung. Zurück zur Entstehung der Bilder. Die Malerin sucht keine Motive. Es gibt eigentlich keine Motive. Nicht eine naturalistische Nachempfindung, keine surreale Erfindung, auch keine Abstraktion im Sinne von Reduzierung des Vorgefundenen auf Form und Farbe, kein Ort, nirgends.
Aber wir sehen doch Landschaften! Die Bilder rufen eine Vorstellung hervor, der wir uns als Betrachter nicht entziehen können. Sie schillern zwischen Gegenstandslosigkeit und Illusionismus. Was passiert da? Und: Wo passiert da etwas? Ja: In und mit uns als Betrachter passiert es. Wir sind die Erfinder der Landschaft. Wir sehen sie, meinen uns zu erinnern, verfallen unseren eigenen inneren Bildern, empfinden das Farbengemenge auf der Leinwand als Landschaft, erleben sie geradezu, versetzen uns in sie hinein.
Noch ein paar Begriffe, die hier mitschwingen, mit denen aber vorsichtig umzugehen ist: Man spricht z. B. von der "Bildlandschaft". Damit aber meint man aber genau das Umgekehrte. Das Wort Landschaft dient dabei als Metapher, mit der man die Anordnung der Bildelemente in der Fläche beschreiben will. Insofern hat jedes Bild eine Bildlandschaft, auch wenn es sich nicht um ein Landschaftsbild handelt.
Oder die "Ideallandschaft", ein Genre, das sich praktisch durch die gesamte Kunstgeschichte zieht, von den Hintergrundlandschaften auf biblischen Motiven bis zu den Meistern des 17. und 18. Jahrhunderts, den Niederländern und darüber hinaus. Vielleicht kommen wir hier der Sache schon näher. Susanne Maurers Bilder stellen in der Tat Ideallandschaften dar, und zwar in Ruhe und Harmonie. Es liegt alles geordnet vor uns, unser Blick ruht mit Wohlgefallen in diesen Landschaften, er ruht sich geradezu aus.
"Phantasielandschaft"? Das klingt zu sehr nach Erfindung, pittoresker Zusammenstellung, Surrealismus und Spinnerei. Die Künstlerin mag den Ausdruck nicht. Sie selbst sagt "archetypische Landschaften" - und das trifft es vielleicht am besten. Ein Archetypus ist eine vielleicht in der Menschheitsgeschichte allmählich entwickelte, zumindest aber unabhängig von der persönlichen Lebenserfahrung bei praktisch allen Menschen unbewusst vorhandene Vorstellungsstruktur. Fast angeboren. Machen wir es nicht zu kompliziert. Das Wort typisch steckt darin, d. h. ganz einfach z. B. typische Gebirgslandschaft, Meereslandschaft, Dünenlandschaft, Hügellandschaft. Und dieser Typus Landschaft, genauer: unsere Vorstellung davon ist schon sehr alt, ????, griechisch für Ursprung, Anfang - z. B. im Wort Archäologie.
Also archetypische Landschaften.
Ob solche Vorstellungen nun angeboren oder erworben sind, darüber brauchen wir jetzt nicht zu diskutieren. Und der Bewohner der Anden wird wohl kaum eine Vorstellung von einer norddeutschen Dünenlandschaft haben. Aber einige Wahrnehmungsmechanismen sind wirklich allen Menschen gemeinsam:
Eine waagerechte Linie als Grenze zwischen oben und unten, z. B. im Zusammentreffen von zwei Farben, interpretieren wir sofort als Horizont. Seine Höhe im Bild (auch in der realen Landschaft) interpretieren wir als Position von uns selbst, also eher die Vogel- oder die Froschperspektive. Das Zusammenlaufen von Linien in der Bildmitte (auf der Horizontlinie, also dem sog. Fluchtpunkt) bedeutet für uns Tiefe. Die Verkleinerung von Objekten in der Tiefe ist für uns Zeichen für die Entfernung, ebenso das neblig Werden und ins Blau Tendieren, also die Luftperspektive. Der Himmel ist für uns tendenziell blau, ein kräftig blau-grüner querliegender Farbfleck ist ein See, gezackte Linien am Horizont sind Berge usw.
Das alles ist elementar. Und die Bilder der Künstlerin sind elementar. Sie zeigen uns die Welt, als ob man aus langem Schlaf erwacht und sie zum ersten Mal sieht. Zumindest mich ergreift bei vielen dieser Bilder eine immer neue Faszination.
Und erstaunlicherweise stören dabei die vielen ganz praktisch-technischen Effekte des Malprozesses nicht. Lacknasen, abplatzende Punkte oder Tropfenspuren der Drippingtechnik, die von Jackson Pollock bekannt ist, integrieren sich merkwürdig harmonisch ins Gesamterlebnis, erinnern aber immerhin daran, dass wir es hier mit Malerei zu tun haben, also einem handwerklichen Vorgang. Susanne Maurer arbeitet hauptsächlich mit Acrylfarben, teilweise auch Öl und teilweise mit beidem gleichzeitig. Die jeweiligen chemisch-physikalischen Eigenschaften des Materials nutzt sie gekonnt aus. Überhaupt die Farben, jetzt optisch gesehen. Manches ist unerwartet, heftig, sogar schrill, aber auch ein schreiendes Geld oder ein Rosé, obwohl anscheinend an ganz falscher Stelle platziert, irritiert, aber fügt sich ein.
"Realismus"? Wohl kaum.
Wie sehen diese Landschaften aus? Sie sind leer, sie sind unberührt (bis auf ein, zwei Bilder aus Rheinhessen. Nein: die uns an Rheinhessen erinnern. Äcker, Weinberge. Vielleicht.) Susanne Maurer kann bombastische Himmel erfinden, bis zur Größe von 2 mal 2 Metern. Da wird der Transport schwierig. Aber auch hier, in kleineren Formaten, ist das zu spüren. Überhaupt das Format, das kommt jetzt ins Spiel. Wir sind mittlerweile aufs Querformat gepolt. 24x36 mm war das alte Kleinbildformat. 4:3 das alte TV-Format, mittlerweile 16:9. Das Quadrat aber schafft wirklich Raum, nach oben und nach unten. Daher das beliebteste Format der Malerin.
Leer und unberührt, Naturlandschaften, keine Kulturlandschaften, vom Menschen geprägt. Himmel und Erde, wüst und leer. Seit Jahren lebt Susanne Maurer in Berlin. Meine Frage: "Stadtlandschaften"? - Nein (obwohl die manchmal auch wüst und leer sein können). Und Figuren in der Landschaft? Staffage-Figuren nach alter Art, etwa ein paar Schäfer oder die "Ruhe auf der Flucht nach Ägypten", wie sie frühere Meister als Vorwand ins Bild setzten, weil sie eigentlich nichts als die Landschaft malen wollten? Auch nicht. Zur Bildtiefe können Gegenstände im Vordergrund beitragen. Der "Ast vom Dienst", wie er jedem Hobbyfotografen in den Lehrbüchern empfohlen wird. Bei Susanne Maurer vielleicht hier und da ein paar Mohnblumen, auch mal eine bunte Blumenwiese - vielleicht. Aber vielleicht sind es einfach nur Farbtupfer.
Die Legende erzählt von einem Künstler, der seine Landschaften so perfekt gemalt hat, dass er schließlich in sie hineinging, darin verschwand und nicht mehr gesehen wurde. Das können Sie hier auch machen. Aber kommen Sie bitte wieder zurück!
Vielen Dank!