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Einführungsrede zur
Ausstellung „Christiane Schauder: Modulare Konzepte“, Galerie Kornelia Jahn, Bad Wildungen, 28. März 2010
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
es gibt Ausstellungsräume, die versuchen, sich unsichtbar zu machen. White cubes nennt man sie gewöhnlich, leere, weiße Würfel, von innen betrachtet, mit neutralem indirektem Licht, von dem man nicht weiß, wo es herkommt, Fenster gibt es keine, kein architektonisches Detail fällt auf, von der Außenwelt ist der Betrachter völlig isoliert, die Vorstellung, hier einmal eingeschlossen zu sein, erweckt psychologische Folterphantasien, der Raum hat keine Geschichte, niemand hat darin je gelebt, der Raum hebt sich selbst auf.
Sie alle kennen das aus modernen Museumsbauten, und die Idee
hinter solchen Architektenkonzepten liegt natürlich in der Utopie, das darin
ausgestellte Kunstwerk ohne jede Ablenkung und völlig losgelöst wahrnehmen zu
können. Man könnte lange darüber sinnieren, was für eine Art von Kunsterleben
für wen und mit welcher Konsequenz auf diese Weise monopolisiert wird.
Es gibt aber auch das Gegenteil: Gewölbe mit
Bruchsteinmauern, Fachwerkhäuser, alte Scheunen, aufgelassene Kapellen,
ehemalige Kleinbahnhöfe, Keller und Dachstühle, und nicht zu vergessen die
zahlreichen Nutzbauten vom Café über die Büroetage bis zur Klinik. Auch in
solchen Räumen wird Kunst gezeigt, und manchmal weiß man nicht, wo man
überhaupt einen Nagel einschlagen kann. Die Aura des Gebäudes und seine
Gebrauchsspuren erschlagen allgegenwärtig jedes Werk, vor allem das zarte und
zurückhaltende.
Wenn Sie die Einladungskarten der Galerie Kornelia Jahn über
die Jahre an sich vorbeiziehen lassen, wird Ihnen auffallen, dass immer das
Gebäude mit abgebildet ist, und zwar aus gutem Grund. Denn wir befinden uns hier
in einem Ambiente, das mit Würde sich selbst präsentiert, ohne mit der Kunst
optisch zu konkurrieren. Das Haus bildet den Rahmen für seine Ausstellungen im
besten übertragenen Sinne. Man fühlt sich in ihm als Künstler und Besucher gut
aufgehoben, und die Bilder sind willkommene Gäste, die mit den Räumen
kommunizieren, ohne von ihnen bedrängt zu werden.
So ein Haus regt an, über Architektur nachzudenken, und
vielleicht auch über die Architektur der Bilder. Das will ich einmal anhand der
Arbeiten von Christiane Schauder versuchen.
Die Architektur der Bilder
Bilder sagte ich eben, und vielleicht ist das schon nicht
ganz richtig. Es gibt keine Rahmen, keine abgegrenzten Spielräume, auf denen
sich ein Bildgeschehen abspielt, keine Bühne, keinen Ausblick oder Einblick,
keinen Guckkasten, auch nicht für ein abstraktes Geschehen.
Die Bildkörper treten plastisch auf, sind eher Objekte als
Bilder, sind autonom, neue Wesen, architektonische Gebilde. Man kann ihre
Erscheinung durchaus mit Begriffen beschreiben, die auch für Bauten anwendbar
sind: Es herrscht die Geometrie des Quadrats vor, es gibt Reihungen, also die
serielle Anordnung von ähnlichen Bauteilen, Variationen von Ähnlichkeit und
Kontrast, es gibt Symmetrien, Blickbeziehungen, Perspektiven, und natürlich das
Farbprogramm und unterschiedliche Oberflächenstrukturen.
All das mutet wie Planung und Konstruktion an. Innerhalb der
jeweiligen Werkgruppe. Hinzu kommt der Bezug nach außen, zur Umgebung, also zur
anfangs angesprochenen Ausstellungsarchitektur, zum Haus. Es wird sich Ihnen
selbst erschließen, wie Christiane Schauder mit ihrer Arbeit immer wieder auf
die Räume antwortet, sich den Wänden anschmiegt, einzelne Positionen betont,
Kontraste setzt, den Blick der Betrachter lenkt und dabei bisweilen auch mit
unkonventioneller Hängung experimentiert. Dank sei an dieser Stelle der
vertrauensvollen und offenen Zusammenarbeit mit der Hausherrin.
Dass diese flexible Art der Präsentation möglich ist, liegt
an der modularen Arbeitsweise der Künstlerin. Modulare Konzepte, wie die
Ausstellung betitelt ist, bedeutet Arbeit mit einzelnen Elementen, die
innerhalb bestimmter Grenzen variabel kombinierbar sind. Die Bildkörper kann
man also wie ein Baukastensystem
verstehen, oder vielleicht auch wie ein Alphabet, aus dem sich verschiedene
Worte und Sätze bauen lassen. Jede Ausstellung sieht also anders aus, abhängig
von den Raumbedingungen, und jede Ausstellung ist insgesamt betrachtet wiederum
eine eigene künstlerische Installation.
In der Tat wird die Malerin häufig im Auftrag tätig. Es soll z. B. eine neue Arztpraxis ausgestattet werden, oder eine Chefetage, oder ein Hotelfoyer, oder es sagt einfach jemand: Ich habe gerade das Wohnzimmer renoviert und da muss jetzt was hin. Christiane Schauder geht dann vor Ort, nimmt einige Beispielelemente aus ihrem Fundus mit, probiert, macht Entwürfe, fertigt ergänzende Elemente an und stellt sich damit ganz auf das jeweilige Ambiente ein.
Planung und Gestik
Nun hört sich das bisher Gesagt alles nach Planung,
Konstruktion und Innenarchitektur an. Den Begriff Konstruktivismus würde die
Malerin allerdings weit von sich weisen. Und wer sie erlebt, würde auf den
Gedanken auch gar nicht kommen. Denn was sich innerhalb der rechteckigen
Elemente abspielt, ist Ergebnis eines ganz direkten, gestischen und expressiven
Arbeitsprozesses. Das gilt für die Auswahl der Farben ebenso wie für die Art
und Weise ihres Auftrags. Da wird gepinselt, gekleckst, mit Schwämmen
gearbeitet, da wird mit anderen Materialien experimentiert, mit Trocknungsprozessen,
Ineinanderfließen von Farbsubstanzen und Transparenzeffekten. Das Atelier der
Malerin gleicht eher einer Alchemistenküche als einem Ingenieursbüro.
Und das wäre vielleicht der Moment, auch etwas mehr über die
Arbeitstechniken zu sagen. Zum größten Teil bilden Holzkörper, also selbst
gezimmerte Kästen, die Grundlage der Elemente, das Fundament. Warum nicht
Leinwand? Aus drei Gründen: zum einen muss das Objekt eine gewisse Tiefe
besitzen, um als plastisch und autonom wahrgenommen zu werden. Es muss aus der
Wand hervortreten. Die zwei weiteren Gründe sind technischer Art: Eine stabile
jederzeit plane Oberfläche muss gewährleistet sein, und außerdem hat diese
Oberfläche eine ganze Menge auszuhalten und darf sich nicht verformen, da sonst
Gefahr besteht, dass die Bildhaut bricht.
Wie geht es nämlich weiter? Das Kästchen wird mit Leinwand
oder Stoff überzogen, ähnlich wie ein Buchbinder seine Leinenbände bezieht.
Diese Stoffe sind teilweise schon vorbearbeitet, z. B. mit Acrylfarben getränkt
oder bemalt. Auf dem Objektkasten geschieht dann die weitere Bearbeitung in
unterschiedlich vielen Schichten, wiederum mit Acrylfarben, oder eben auch mit
flüssigem Wachs. Erhitzter Wachs, auch teilweise mit Pigmenten gefärbt, wird
mit breitem Pinsel aufgetragen, wobei er sofort erhärtet, wie bei einer
tropfenden Kerze. Ein Vorgang, der viel Erfahrung und Geschick erfordert. Aber
das Ergebnis lohnt den Aufwand. Sie werden bei diesen Arbeiten feststellen,
welch faszinierende Tiefenwirkung dadurch erzeugt wird. Das mehrfache
Überstreichen mit den dünnen Wachsschichten führt zu einer Verschleierung der
darunter liegenden Schichten, die durchscheinen, aber immer weiter
zurücktreten. Hinzu kommt die überaus reizvolle mattseidene Oberfläche.
So spielt sich die Arbeit der Malerin in diesem spannenden Wechselspiel zwischen Konzept und Handwerk, Konstruktion und Ausdruck, Kalkül und Gestik ab, aber im Rahmen einer völligen Autonomie, d. h. losgelöst von literarischen Bezügen zur Gegenstandswelt.
Emotion und Umgebung
Die Arbeiten erzählen keine Geschichten, sie bilden nichts
ab, sie machen keine Aussagen zum Alltäglichen, sie beziehen sich nur auf sich
selbst – und, wie anfangs gesagt – auf ein anderes Kunstwerk, die Architektur.
Damit ruhen sie in sich selbst und vermitteln eine Gelassenheit und manchmal
auch eine Majestät ohne monumental zu sein – genau wie dieses Haus.
Das heißt nicht, dass sie abweisend sind oder ihnen etwa
jede Emotion fehlt. Die Bilder können aufregen oder beruhigen, fröhlich machen,
unbeschwert, oder auch melancholisch, grüblerisch, man kann sie als leicht oder
schwer empfinden, als bewegt oder ruhend. Jede Kombination oder Werkgruppe
entwickelt da ihren eigenen spezifischen Charakter.
Aber das sind natürlich letztlich wir selbst als Betrachter, die diese Stimmungen in den Bildern sehen oder in sie hineinsehen. Das ist unsere individuelle Kommunikation mit ihnen. Wir reagieren auf sie, werden berührt, häufig an Stellen in unserem Gemüt, die wir nicht oder kaum benennen können. Die Sprache versagt da meistens. Der eben erwähnte Vorgang im Austausch zwischen Künstlerin und Interessent und Betrachter ist dabei überaus interessant zu beobachten, wie Leute die Arbeiten empfinden, sie aussuchen, Kombinationen ausprobieren, sie auch vor allem in ihren eigenen Räumen wirken lassen und mit ihnen „probewohnen“. Zu den Veränderungen in der eigenen Befindlichkeit kommen natürlich die zeitlich wechselnden Lichtverhältnisse und all das Drumherum, das die Arbeiten beeinflusst oder verändert.
Also doch die Kunst lieber neutral im white cube, im luftleeren Raum zeigen? Nein, wir würden uns in die Tasche lügen. Kunst gehört zu den Menschen und in ihre Lebenswelt. Sie ist, wenn sie gut ist, auch stark genug, sich als Gast zu behaupten.
Vielen Dank!