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Einführungsrede zur
Ausstellung „Von Markt und Macht: Thomas Brenners Monschauer Allegorie der Tuchmacher “,
Theodor-Zink-Museum, Kaiserslautern, 20. März 2010
www.Thomas-Brenner-Photographie.de
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
unter dem Titel „Von Markt und Macht“ sind Sie mit einem Zyklus von großformatigen Bildern konfrontiert, deren Sujets Sie zunächst befremden mögen. Offensichtlich historische Räume, innen wie außen, Stadtansichten, deutsches Fachwerk, Bruchsteinmauern, ein Fluss, Brücken bilden die Kulisse für Gruppenszenen mit merkwürdig kostümierten Figuren, die irgendetwas zu tun scheinen, dessen Bedeutung uns unklar ist.
Offensichtlich hat hier jemand etwas für die Kamera inszeniert. Fotografie, die wir immer noch für ein halbwegs objektives Medium erachten, auch im Zeitalter der digitalen Verfremdung, wurde hier benutzt, um etwas Unwirkliches abzubilden. Denn in unserer alltäglichen Wirklichkeit würden wir Szenen wie diese nicht erwarten, es ist Erfindung, „Fake“, Show, was uns hier geboten wird. Es wirkt surreal.
Und dennoch ist – oder besser: war alles Abgebildete im Moment des Auslösens Wirklichkeit, wenn auch nur für einen kurzen Moment.
Inszenierte Fotografie
Die Inszenierung, das in Szene setzen, kommt aus der Sprache von Theater und Bühne. Englisch sagt man für Inszenieren, nicht nur im Theater, „to stage“, und the stage als Substantiv bedeutet zugleich die Bühne.
Thomas Brenners Bühne ist allerdings die Wirklichkeit, sind reale Orte, die er verändert, in die er Personen hineinsetzt, kostümiert, in einer Choreographie anordnet, umgeben mit Requisiten, sorgfältig beleuchtet, von einem festgelegten Kamerastandpunkt und mit einem ausgesuchten Bildausschnitt betrachtet.
Die Nachbearbeitung – nur um dieser Frage vorzubeugen – verändert nicht mehr das Arrangement, setzt nichts dazu, löscht nichts aus, korrigiert nur noch Farbe, Licht, Kontrast.
Es sind eingefrorene Szenen, die Geschichten andeuten und den Betrachter provozieren, sich auszudenken, was vielleicht vorher geschah und wie es weitergehen mag. Insofern kann man die Fotografien auch als Stills sehen, also Standbilder aus Filmen, die, wenn sie gut sind, wichtige Momente im Lauf des Geschehens festhalten und kleine Höhepunkte fokussieren, oder aber – auch das – Atmosphäre vermitteln, Charakteristik von Orten, Stimmungen, Situationen.
Einige von Ihnen kennen sicher schon andere Arbeiten von Thomas Brenner, und für alle gilt das bisher Gesagte.
Historische Realität
In der Monschau-Serie aber geht es zum ersten Mal tatsächlich um eine große Geschichte. Die Bilder hängen zusammen, stehen nicht nur einzeln für die unterschiedlichsten Phantasien, sondern zeigen Szenen aus einem geschlossenen Geschehen, einem historischen Zeitabschnitt, können wie Kapitel oder Sequenzen einer längeren Erzählung, eines Romans oder eines Filmplots verstanden werden, allerdings ohne eine handelnde Hauptperson.
Ein zweiter Aspekt ist neu bei dieser Gruppe von Arbeiten. Thomas Brenner war der Realität nie so nah. Oder besser: Hat tatsächliche historische Ereignisse noch nie so direkt verarbeitet.
Dafür wählte er allerdings die ihm eigene unverwechselbare Bildsprache. Man kann den Begriff Allegorie verwenden, also eine symbolische Ausdrucksweise, die weit über die einzelne Metapher hinausgeht und komplexe mehrschichtige Bildwelten aufbaut, die der Deutung und auch eines Wissens um das damit Gemeinte bedürfen. Darum werden wir uns jetzt bemühen.
Der Fotograf hatte einen Auftrag. Es ging um eine künstlerische, und wenn ich es recht verstanden habe, auch kritische Verarbeitung einer historischen Epoche in dem Ort Monschau, nämlich die vorindustrielle Stoffherstellung, die Tuchmacherei. Im hier ausliegenden Katalog finden Sie dazu die Hintergrundinformationen.
Nun ging er aber nicht wie ein Guido Knopp an diese Aufgabe heran, indem er etwa Szenen quasi-realistisch nachzuempfinden versuchte und so etwas wie ein bewegtes Wachsfigurenkabinett mit Schauspielern und Action in die Kulisse setzte. Nein, Histotainment interessiert Thomas Brenner nicht. Und auch kein Sozialrealismus. Dieses Monschau ist an sich schon Museumsdorf genug.
Geschichte erzählen heißt auch Geschichten erzählen.
Was ist denn Geschichte? Ist das wissenschaftlich Gesicherte trennbar von Legenden, Mythen, Märchen, Fabeln, Erinnerungen, Phantasien und Phantastereien? Die Leute von Monschau wissen natürlich die sogenannten Fakten ihrer lokalen Historie, aber sie haben auch noch persönliche Erinnerungen, Familiengeschichten und allerlei Überzeugungen auf Lager, haben sich ein Bild gemacht von dem Ort, in dem sie leben, haben sich da was zurechtgezimmert aus allen möglichen Quellen, nicht zuletzt der mündlichen Überlieferung, ein Bewusstsein, eine Identifikation, vielleicht eine Liebe oder eine Hassliebe, haben einfach ein ganz persönliches Verhältnis zu ihrem Monschau.
Das ist normal, das erklärt auch die Skepsis und Ablehnung, die dem Projekt dort vor Ort von manchen Bewohnern entgegengebracht wurde – abgesehen von der Unterstützung, die es auch reichlich gab. Das „making of“ – auch hier wieder ein Begriff aus der Filmwelt – ist übrigens ebenfalls im Katalog sehr anschaulich geschildert.
In seiner Zeitreise hat Brenner eben tatsächlich die Geister der Vergangenheit beschworen, auf befremdliche, unheimliche, vielleicht sogar bedrohliche Weise. Und manchem mögen die Szenen gespenstisch vorkommen. Der Gedanke an Gespenstergeschichten liegt gar nicht so fern. Sind es doch darin immer entweder die Täter, die schwere Schuld auf sich geladen haben und deswegen zum ewigen ruhelosen Wiedergängertum verurteilt sind, oder eben die Opfer, die mahnend an den Orten ihres Leidens gegenwärtig sind, auch noch nach Generationen.
Genau darum geht es bei diesem Zusammentreffen von Vergangenheit und Gegenwart am Ort des Geschehens, das spüren Sie schon, ohne etwas über den historischen Hintergrund zu wissen.
Über diese Hintergründe hat Brenner natürlich ausgiebig recherchiert und kann Ihnen eine ganze Menge erzählen. Auch ich habe ihn gefragt, und einiges möchte ich Ihnen wiedergeben und dabei etwas zu den Bildern im Einzelnen sagen.
Die Tuchmacher von Monschau
Die Geschichte beginnt wie in einem Gefängnisfilm: Gesenkten Kopfes marschieren die Verurteilten an, werden ihrer Individualität beraubt, eingekleidet, bekommen statt ihrer bunten Kleidung ein Päckchen mit grauer Einheitskluft, werden jenseits des Fabriktors zur gesichtslosen Nummer, sind nur noch Menschenmaterial, oder, mit einem Ausdruck aus späteren Epochen: eine industrielle Reservearmee. Die ins Werk trottenden Arbeiter aus dem Film Metropolis fallen mir dazu ein. Von da ab gibt es in den Bildern nur noch die Roten, das sind die Herren, die Chefs, und die Grauen, das sind die Arbeitssklaven.
Auch die Roten, die Mächtigen, sind in Masken anonymisiert, für uns und ihre Sklaven nicht identifizierbar.
Die Touristenbahn, die Monschauer Stadtbahn, wie sie heißt, hat Brenner übrigens extra bestellt, ein zynischer Ausblick auf die unbeschwerte Besichtigungsfahrt durch die Orte des historischen und grausamen Geschehens.
Ebenso gibt es eine Schlussszene: Ende des vorindustriellen Zeitalters, das durch maschinelle Massenproduktion abgelöst wurde, die Sklaven verlassen den Ort, warten auf den Bus, der sie in die Zukunft bringt, im Hintergrund die Ruine einer ehemaligen Produktionsstätte.
Dazwischen ist alles Mögliche zu entdecken. Und die Entdeckerfreude will ich Ihnen nicht nehmen, indem ich jedes einzelne Bild erkläre, sondern nur einige allgemeine Hinweise zur Ikonographie geben.
Auf manchen Bildern sehen Sie Kinder. Kinderarbeit war sehr verbreitet in der damaligen Epoche. Der Bezug zur Gegenwart drängt sich auf. Kinderarbeit ist immer noch ein ungelöstes Problem in der von Markt und Macht bestimmten Welt.
Überhaupt die Lebens- und Arbeitsbedingungen: Stichworte wie Umweltgifte, feuchte und dunkle Behausungen und Werkstätten, Hunger und Verzweiflung fallen einem ein, wenn man die Bilder betrachtet. Auch dies nicht nur Geschichte, sondern in vielen Teilen der Welt bittere Realität.
Produktionsdetails sind verwoben mit allegorischen Darstellungen der sozialen Schichten: So muss man wissen, das die Arbeiter ihren Urin sammeln mussten, der im Verarbeitungsprozess beim Färben gebraucht wurde. Mit ihrem Urin wässern sie hier den Golfrasen des Chefs. Ein starkes Bild.
Sie sehen ferner Schafe und Baumwolle, die Rohstofflieferanten.
Die hohen Steinmauern dienten zum Trocknen und Bleichen der Stoffe, Stoffe, die dort auf großen Rahmen aufgehängt wurden. Die Stoffe, das Produkt der Arbeiter, werden hier auf einem Bild zur Fessel, zum Strangulierungswerkzeug.
Eine geschnitzte Holztreppe, ebenfalls eine Sehenswürdigkeit Monschaus, die Darstellungen aus der Zeit der Tuchmacher zeigt, dient dem Fotografen als Allegorie für das Oben und Unten und die sozialen Unterschiede. Im „Mittelbau“ finden sich die Verwalter, durch Aktendeckel symbolisiert.
Eine religiöse Szene, eingerahmt durch die mit Tuchbahnen dargestellten Grundmauern einer früheren Kapelle, vereint die Klassen der Gesellschaft im Ritus und kommentiert den Anspruch der Kirche, alle Menschen gleich zu behandeln.
Einen Aufstand glauben wir zu erkennen in einem Bild, das hingerichtete Herren und die um sie herumtanzenden Arbeitssklaven darstellt. Eine Phantasie, denn solch Aufstände hat es in Monschau nie gegeben.
Viele weitere Details sind in diesen Tableaux vivants, lebenden Bildern, zu entdecken und zu entschlüsseln, die eigentlich ja nur ein Teil des Kunstwerks sind. Das eine ist die Inszenierung selbst, der Moment, die Performance, wenn Sie so wollen. Das zweite dann die Photographie als Relikt, als Dokument des Gewesenen.
Womit wir das Stichwort vom Anfang wieder aufgreifen ...
Vielen Dank!