Rede zur Eröffnung der Ausstellung Diagne Chanel: "Jahreszeiten im Sudan" In der Galerie Xenios, Frankfurt, am 28. Januar 2000
Diagne Chanel provoziert durch Parodie. Gleich bei der ersten Begegnung mit den Werken und ihren Titeln stellt sich eine merkwürdige Unsicherheit ein. Hat man es mit originär-afrikanischer Kunst zu tun? Kann man von "Folklore" sprechen? Sind Kategorien wie "Art Brut" oder "naive Malerei" angebracht? Patina - sowohl auf den Bildern auf Holzgrund wie bei den Terrakotta-Köpfen - täuscht uns in Bezug auf das Alter der Werke, und wenn man die Titel liest, die großenteils auf den Bildern selbst eingetragen sind, ist man vollends irritiert: "La Fin d'un primitif" - "Das Ende eines Ureinwohners", oder wie es früher im Deutschen wörtlich hieß: eines "Primitiven", ist eine Gruppe bezeichnet, oder "Petite Afrique" - "Kleines Afrika". Das kann doch nicht ernst gemeint sein. Wie sieht es aus mit der eigenen Position der Künstlerin, von der wir wissen, dass sie eine französische Mutter und einen senegalesischen Vater hat? Kurzum: dem Versuch, nach der oberflächlichen Betrachtung der Bilder und Köpfe eine erste Zuordnung zur in uns gewachsenen Begrifflichkeit vorzunehmen - einem durchaus ehrenwerten, allgemein-menschlichen Versuch, nämlich die Vielfältigkeit des Wahrgenommenen zu ordnen - diesem Versuch also, Worte zu finden angesichts ihrer geheimnisvollen Figurenwelt, setzt die Künstlerin einiges entgegen. In diesem Moment der Unsicherheit - und deswegen haben wir es mit Kunst zu tun - beginnt die Arbeit.
Anthropologische Quellen
Eines der ersten Merkmale ihrer Bilder, das sofort auffällt und an frühe oder fremde Bildtraditionen erinnert, ist die Haltung der Figuren. Frontal oder im Profil stehen die Menschen uns mit herabhängenden Armen gegenüber, immer in Ansicht des ganzen Körpers von oben bis unten, wie aufgestellt zur Präsentation. Und in der Tat gibt es im Bereich der Begegnung der Völker dieser Welt - der zwischen Kolonialismus und interkulturellem Austausch und Integration bis heute alle Spielarten aufweist - genauer gesagt, in der wissenschaftlichen Ausprägung dieses Feldes: Völkerkunde, Ethnologie, auch: "Rassenkunde", Anthropologie, seit jeher das Interesse des Sammelns, Vermessens, Vorzeigens. So sind mit den Expeditionen und der Erfindung der Fotografie seit dem 19. Jahrhundert völkerkundliche Bildbände erschienen, die eingefangene Vertreter afrikanischer Kulturen vorführen in genau dieser Fahndungsfoto-ähnlichen, vermeintlich dokumentarischen Form. Der Unterschied zwischen Raritätenkabinett und wissenschaftlicher Bestandsaufnahme ist marginal, aber das Bewusstsein für die Menschenwürde des festgehaltenen und zur Schau gestellten Objekts war im eurozentrischen Weltbild nicht vorhanden.
Die Absurdität dieser Haltung dürfte ganz deutlich werden in der umgekehrten Vorstellung: Stellen Sie sich vor, es käme eine Gruppe von Forschern aus dem Senegal hierher, würde wahllos Passanten auf der Zeil einsammeln, sie an eine Wand zum Fotografieren stellen, um daraus einen wissenschaftlichen Bildband über den Stamm der Frankfurter zu machen.
Solche Reihenfotografien gab es jedenfalls zahlreich, und auf sie bezieht sich die Malerin im Auftreten der abgebildeten Figuren. Wir sehen, wie sich hier ein weiteres Moment der Irritation in eine Form metasprachlicher Ironie auflöst. Der Hinweis darauf ist wichtig, denn - man mag es drehen und wenden wie man will - auch Diagne Chanel, die in Paris geboren ist und ihr ganzes Leben dort verbrachte, lebt vor diesem Hintergrund, der Geschichte der Wahrnehmung des Afrikaners durch Europa, um es allgemein auszudrücken.
Bitterer Humor
Wenn die Künstlerin sich mit dieser gemeinsamen Geschichte zweier Kontinente befasst und logischerweise Defizite und Auswüchse benennt, tut sie dies allerdings nicht todernst, plakativ oder agitatorisch. Nein, die politischen Inhalte, und wir werden noch weitere aufzeigen, liegen unter der Oberfläche und sind mit Humor gewürzt, wenn auch häufig mit einem bitteren Humor.
Sich selbst als ebenso neugierige und bilderhungrige Beobachterin spart sie dabei nicht aus. Als Pariserin ist ihr der schwarze Kontinent, mit dem sie durch die Herkunft ihres Vaters verbunden ist, ebenso ein Faszinosum. Eine lange Serie von Bildern der Zulus entstand, von denen hier zwei zu sehen sind, wiederum mit einem ironischen Untertitel "Collection Privée" benannt, wobei es Ihnen überlassen ist, als Sammlungsgegenstand das Bild oder sein Objekt zu verstehen. Der Haupttitel "Poung Zulus" ist ein Fantasiewort, eine Verballhornung von "Young", ein spielerischer Einfall während des Malens. Überhaupt sollten wir nicht das Spielerische im Werk der Künstlerin vergessen. Es schlägt überall durch und gibt den Arbeiten trotz aller Gedanken und Fragen im Hintergrund eine erfrischende Leichtigkeit.
Es gibt viele Alltagsgegenstände, meist Kleinigkeiten, häufig Spielzeug, die Diagne Chanel seit langem faszinieren und die in den Bildern - fast als Beigabe oder dekoratives Element - immer wieder auftauchen, z.B. die kleinen farbigen Würfeln, Kugeln und Pyramiden, die man Babys zum Begreifen in den Kinderwagen legt, außerdem - und hier geht es wieder um die Körperlichkeit der Figuren - Gliederpuppen und Marionetten. Zunächst eine Vorliebe der Künstlerin, etwas, das sie einfach gern hat, aber wenn wir ein Bilderpaar sehen, das man als Porträt zweier unbeweglicher, am Seil hängender Marionetten auffassen können, und lesen dann die Betitelung "Primitif" - also: Ureinwohner, Primitiver -, dann spüren wir die zynische Doppeldeutigkeit, den doppelten Boden dieses Werkes. Marionetten sind eben nicht nur Spielzeug, sondern auch Metapher für Gestalten, die nicht ganz lebendig sind, Objekte unter einer lenkenden Hand, einem fremden Willen unterworfen.
Eher zur heiteren Seite schlagen die kleinen Papierarbeiten "Petite Afrique" aus, auch die kleinen afrikanischen Teufel und Könige. Die Malerin selbst spricht von Arbeiten aus Spaß, schreibt ihnen also nicht eine ähnlich gewichtige Bedeutung zu wie den großen Bildern. Zum Teil sind sie im Senegal entstanden, der Heimat ihres Vaters, die sie vor 10 Jahren besuchte und wo sie sich von da ab für etwa 4 Jahre jeweils längere Zeit aufhielt. Ausstellungen fanden dort statt, und niedergeschlagen auf den Blättern haben sich die Farben der Landschaft und der Erde Afrikas, wie überhaupt im gesamten Werk.
Arbeitstechniken
Noch ein Wort zu den Arbeitstechniken. Neben dem Malen mit Ölfarben auf Papier und Karton, teilweise dann aufgezogen auf Leinwand, sehen sie in der Gruppe "Jahreszeiten im Südsudan", die dieser Ausstellung den Titel gab, als Bildgrund Holzflächen. Es sind Bodenbretter oder Türen, alt und abgewetzt, aber auch durch jahrzehntelangen Gebrauch geadelt. Diese historische Dimension schon im Untergrund wird durch die Maltechnik unterstützt. Ich meine nicht nur die aufgetragenen Goldpartien, sondern vor allem die Enkaustik, diese heute selten verwendete Technik, die schon in der Antike benutzt wurde. Vielleicht haben Sie auch vor einiger Zeit die Ausstellung der ägyptischen Mumienporträts gesehen. Bei dieser Methode gibt es zahlreiche, an alchemistische Zauberküchen erinnernde Rezepte. Grundidee ist, dass Farbpigmente, also Farbpulver, in heißem, flüssigem Wachs gebunden und aufgetragen werden. Das Ergebnis ist neben einer matten Durchsichtigkeit, also Lasureffekten, eine pastose Struktur, also richtig spürbares Material auf der Oberfläche, die damit als zusätzliches Bildmerkmal betont wird. Enkaustik-Bilder sind übrigens in der Farbintensität sehr dauerhaft, normale Alltags-Temperaturen machen Ihnen nichts aus, nur auf plötzliche extreme Temperaturänderungen reagieren sie empfindlich. Auch der Oberfläche kann bei vorsichtigem Umgang mit dem Bild nichts passieren.
Der von Diagne Chanel beabsichtigte Effekt von Holz und Enkaustik in der hier gezeigten Verbindung ist der eines hohen Alters, die Bilder scheinen ikonenhaft wertvoll, sind wie Museumsstücke, Fundobjekte aus vergangenen Hochkulturen. Auch hier wieder eine spielerische Bezugnahme auf Bildformen anderer Zusammenhänge. Die anfangs geschilderte statische Haltung der Figuren hat auch einen archaischen Aspekt.
Wenn man den erwähnten Begriff Fundstück, Museumsstück ein wenig weiterverfolgt - und das bietet sich an, da es hier auch einen direkten Zusammenhang zur Anmutung der Terrakotta-Köpfe gibt - dann hat man es neben dem ethnographischen Präsentieren auch mit dem Aspekt der Konservierung zu tun. Vergangene Kulturen werden scheinbar festgehalten und in Form von Relikten bewahrt. Und hier kommt ein weiterer politischer Ansatz ins Spiel, dramatisch und sehr ernst: "Jahreszeiten im Südsudan" ist nicht etwa der Titel für eine Serie von Reiseerinnerungen oder Landschaftsimpressionen. Im Südsudan geht es um Völkermord, weltpolitisch kaum wahrgenommen, die Vernichtung ganzer Volksgruppen im Süden durch den Norden des Landes. Ich will - auch da ich es nicht kann - ihnen nicht mehr über die dortige aktuelle politische Situation sagen, das führt hier zu weit. Aber dieser Bezug der Malerin Diagne Chanel - die übrigens nie dort war - ist wichtig zu wissen.
Metaphern für Rassenhass
Und noch eine weitere Hintergrundinformation: Die Ton-Köpfe im Fenster, die ebenfalls wie archäologische Fundstücke wirken, heißen "Strange Fruit für Jean Garand". Jean Garand ist der Führer der südsudanesischen revolutionären Bewegung, die gegen den genannten Völkermord ankämpft. Und Strange Fruit heißt ein Lied von Billie Holliday, nach einem Text von Lewis Allen:
Southern trees bear strange fruit Blood on the leaves Blood at the root Black bodies swinging in the southern breeze Strange fruit hanging from the poplar trees Pastoral scene of the gallant south The bulging eyes and the twisted mouth The scent of magnolia sweet and fresh Then the sudden smell of burning flesh Here is a fruit for the crows to pluck for the rain to gather for the wind to suck for the sun to rot for the tree to drop Here is a strange and bitter crop.
Mit diesem Text wird der Süden der USA zur Zeit der Sklaverei und des Rassenhasses beschworen. In Lynchjustiz aufgeknüpfte, an Bäumen hängende Schwarze als "fremde, merkwürdige Früchte" - eine kaum erträglich, furchtbare Metapher. Diagne Chanel überträgt sie auf Afrika, ein Kontinent, in dem über Sklaverei - auch heute - wenig gesprochen wird. Das bewegt die Künstlerin, darüber will sie sprechen - und sicher auch über viele andere Gedanken, die hinter ihren Bildern stehen, und über die Sie mit ihr persönlich sprechen können, wozu ich Sie herzlich einlade.
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