Rede zur Eröffnung der Ausstellung Alain Bourgeois, Didier Dessus und Bernard Metzger Im Landtag Rheinland-Pfalz am 24. Mai 2000
Guten Abend, meine sehr geehrten Damen und Herren,
Bevor ich zu dieser Ausstellung und den drei Künstlern spreche, möchte ich eine Bemerkung loswerden, weil ich mich heute wirklich ärgere. Genau in diesem Moment, in dieser Minute, wird in der Sparkassenakademie Schloss Waldthausen eine Ausstellung mit junger Kunst eröffnet, d.h. an dem Ort, wo zwei der heute im Landtag anwesenden Künstler ein Stipendium hatten, monatelang arbeiteten, ihr Publikum und ihre Freunde fanden. Zudem muß dort die Kunstreferentin des Kulturministeriums sprechen, die für diese Stipendien auch zuständig ist. Das Publikum von dort müsste also hier sein, aber auch wir müssten heute dort sein, denn auch in Waldthausen werden zwei sehr gute Künstler präsentiert.
Eine organisatorische Meisterleistung dieser Art bringen nur wenige Städte in dieser Republik zustande, eine davon heißt Schilda. Aber zumindest das Buffet wird heute Abend ausreichen, das ist der Vorteil.
Ausstellungsorte
Nun gut, sprechen wir weiter über Künstler und Orte, und die Beziehungen zwischen ihnen. Es hat ja schon eine ganze Reihe von Austauschausstellungen mit Frankreich in Rheinland-Pfalz und Burgund gegeben, eine davon im Jahre 1995 in Landau und Dijon, mit dem Titel "Cinqu / Fünf". Damals schrieb der Kollege Paul Ardenne einen kritischen und umstrittenen Katalogartikel, in dem er unter anderem bemerkte: "Bevor er eine Bewegung versucht zu unternehmen, muß der Künstler sich wehren, allein schon gegen die Unneutralität des Ortes - der kanonische Weiße Raum ist ungefährlicher als man es vorgibt."
Der "white cube", wie es im Genre heute heißt, ist also einfacher zu bespielen, da neutraler, als ein Ort mit der Bedeutung, der Konnotation und der spezifischen Architektur wie etwa dieses Landtagsgebäude. Einer der Künstler, Alain Bourgeois, hat sich gewehrt, indem er reagiert hat. Den Arbeitsprozess können Sie dort anhand der Computerausdrucke verfolgen. Der Künstler hat den Ort der Ausstellung fotografisch vermessen, d.h. dieses Foyer, aber auch das Portal und die Fassade des Deutschhauses, das schmiedeeiserne Gitter, und nicht nur das Gebäude, sondern auch das umgebende Ensemble: Schloss und Peterskirche - alles Elemente, die das Raumempfinden, die architektonische Anmutung in vielen Dimensionen und Details bestimmen.
Die digitale Bearbeitung der Bestandsaufnahme ist sein nächster Schritt. Am Computer werden Konturen verschärft, Details ausgeschnitten, Perspektiven gedreht und Farben korrigiert. Mit der Analyse geht die Synthese einher, indem nämlich die Fragmente architektonischer Realität collagehaft wieder miteinander kombiniert werden. Die Eingangshalle des Landtages wird zur virtuellen Bühne mit spielerisch montierten Kulissen und Prospekten, die aber alle zum Ort des Geschehens gehören. Das Verschränken von Innen und Außen, von Ein- und Ausblicken, damit die Gleichzeitigkeit von Ansichten, die real nur nacheinander zu erleben sind, ist im Grunde ein auf die Spitze getriebenes Verfahren des Kubismus.
Alain Bourgeois: Eine Rauminstallation
Die digitale Technik ermöglicht auch die virtuelle Vorwegnahme der Rauminstallation, die das Zentrum der Ausstellung bildet. Als ob mit den Computerausdrucken und den ihnen zugrundeliegenden Bildmanipulationen die neuronale, mathematisch beschreibbare Hirnarbeit des Künstlers bloßgelegt wird, werden wir jetzt mit einem rein malerischen, organischen, fassbaren und die Handarbeit dokumentierenden Werk konfrontiert, mit einem "regelrechten" Gemälde. Es ist gemacht wie ein Deckengemälde eines Tiepolo - und liegt deswegen auf dem Boden.
Es ist folgendermaßen aufgebaut: Holzplatten, überzogen mit einem leichten und festen High-Tech-Isolierkunststoff, darüber eine Tonschicht, und dann ein Putzgrund, auf den "nass in nass" gemalt wird. Was wir maltechnisch vor uns haben, ist ein klassisches Fresko. In den nassen Putz malen heißt auch: die Arbeit nicht unterbrechen. Was trocknet, ist unveränderbar und unkorrigierbar fertig. D.h. es ist stundenlanges kontinuierliches Arbeiten erforderlich, in diesem Falle, wie mir gesagt wurde, 24 Stunden.
So kulminiert die hochtechnologische mediale Bildkonstruktion erstaunlicherweise in einer jahrhundertealten Arbeitsmethode, die jeden Pinselstrich spüren lässt. Alain Bourgeois benutzte für dieses Raumporträt den Ausdruck "Transpiration réflexive" - man könnte auch sagen "Réflexion transpirative", d.h. der Ort schwitzt sein Bild aus - oder seinen Geist, seinen genius loci - aber seine Oberfläche wird im gleichen Moment kalt, d.h. fotografisch-digital reflektiert und abgebildet.
Bernard Metzger: Pompeianische Malerei
Bernard Metzgers architektonische Reflexionen sind abstrakterer Art und bezeihen sich nicht auf einen speziellen Ort. Seine "Suite pompeienne", die wir hier auf den Pfeilern und zwischen den Fenstern sehen, sollte eigentlich in dichter Reihe präsentiert werden, damit die Farb- und Formvarianten deutlicher sichtbar werden. Die Maltechnik ist ebenfalls althergebracht, diesmal aber die andere Form der Wandmalerei, das "al secco", es wird also auf den trockenen Putz gemalt. In diesem Fall ist die Holzplatte mit Leinwand überzogen, und darauf befindet sich die mit Marmorstaub versetze Putzgrundierung. Auch Metzger malt also auf einer künstlich hergestellten "Wand" oder "Mauer". Der Bezug zu pompeianischer Wandmalerei ist schon im Bildtitel benannt.
Der Künstler entwirft hier ein Gitter- und Flächensystem, das er planmäßig variiert. Die Parallelperspektive (d.h. die Raumsimulation ohne Fluchtpunkt und Verkürzungen) provoziert räumliches Wahrnehmen. So können wir ein im Vordergrund lokalisierbares Gitter mit einer tischartigen Fläche in der Aufsicht ausmachen, und scheinbar dahinter ein System von mehreren einander winkelig zugeordneten Flächen, nennen wir es "Paravent". Beide Bildebenen werden nun mehrfach verändert. Das Vordergrundgitter ist teils gespiegelt, der Paravent hat zwei verschiedene Varianten der Faltung.
Auch die Farben werden in einem definierten Spielraum zwischen Ocker, Rot, Schwarz und Hellblau ausgetauscht und in Sättigung und Helligkeit durchkonjugiert. Der Effekt, den der Betrachter tunlichst sorgfältig an sich selbst ausprobieren sollte, ist ein bei jeder Variante anderer Raumeindruck, ein Wechsel von Davor und Dahinter, aus der Wahrnehmungspsychologie bekannte Kippeffekte und Phänomene der "Unmöglichkeit", unterstützt durch die ausgearbeiteten Kannten, die teils als ornamentale Randstreifen, teils als eigene Flächen wirken. Das System wird zusätzlich durch eine gewisse Unlogik gestört, die unangenehm irritiert. Ich meine die Vorderkante des von mir so genannten "Tisches", die im Gegensatz zu den Prinzipien der Parallelperspektive nicht parallel zur Hinterkante und zur Bildkante verläuft. Diese Brechung macht die Sache "schief" und steht logischer räumlicher Erfassung im Wege.
Das Triptychon "Tombeau pompeien", der "pompeianische Grabstein" im Seitenraum, vertieft das Thema der unmöglichen Architektur. In den Farben Giottos - San Francesco in Assisi - , kombiniert mit pompeianischen Bildelementen - suchen Sie bitte die erotischen Zeichnungen! - entwirft Bernard Metzger einen vielfach verschachtelten Raum, der nur für die Götter betretbar scheint. Über die Seccomalerei legt er zusätzlich ein glänzend-transparentes Raster, das zwar die Perspektive-bildenden Flächen und Linien durchscheinen lässt, aber gleichzeitig den Eintritt in die Tiefen des Bildes versperrt.
Didier Dessus: Luftwesen
Was Bourgeois und Metzger räumlich-perspektivisch konstruieren, findet bei Dessus in der Fläche statt. Wenn man die Architektur reklamieren will, handelt es sich um eine rein bildimmanente, d.h. eine Raumgestaltung, die sich der Bildfläche und ihrer Grenzen annimmt und auch der Bildtiefe, die aber bei Dessus nicht perspektivisch simuliert wird, sondern ausschließlich im Übereinander der Farbschichten besteht.
Vier große Gemälde sind hier von ihm zu sehen, die aus einer etwa drei bis vier Jahre alten Serie stammen. Wichtig dabei, weil Ausgangspunkt, ist das rostrote Bild in der Ecke. Wie der Maler sagt, ist es das erste von ihm flächig gemalte Tierwesen, ohne also Volumen vorzutäuschen durch Modulation und Schatten.
Sprechen wir auch bei Didier Dessus kurz über die Maltechnik. Es geht vor allem um das Übereinanderlegen von transparenten Schichten in Ölmalerei. Die Schichten können das Bild komplett bedecken, sie können die Figur ausfüllen oder auch ausschließlich den Umgrund, also die Negativform des Motivs. Alle Varianten kommen vor, und zwar in jeder denkbaren Reihenfolge und Kombination. Die Lasurtechnik verschafft den Durchblick auf die Struktur und den Pinselstrich der darunter liegenden Schichten, außerdem ist sie verantwortlich für Farbvermischungen wie etwa ein Schwarz mit Gelb, das einen grünlichen Eindruck erzeugt. Wenn Sie genau hinsehen, können Sie zumindest die Reihenfolge der letzten Farbaufträge erkennen.
Was darunter ist, ist auch für den Maler teilweise schwer zu rekonstruieren, weil bei jedem Bild anders. Es beginnt etwa mit einer Tierform in Schwarz auf schwarzem Grund, nur mit Mühe erkennbar. In anderer Farbe wird der Negativausschnitt der Figur darüber gelegt. Eine dritte Schicht bedeckt das ganze Bild und verändert dabei sowohl die Farbigkeit des Motivs als auch die des Hintergrunds. Eine weitere farbige Fassung der Figur könnte folgen, das zugrundeliegende Schwarz ist dann kaum noch zu sehen. Schließlich noch eine Deckschicht über den Fond, wodurch er vielleicht extrem prominent wird wie bei der Arbeit am Eingang, die mit glänzendem weißen Malerlack bearbeitet wurde.
Nicht nur Farben und Strukturen verändern sich bei jeder Schicht, auch die Tierform, die nach einer groben Vorzeichnung in Kohle, teilweise noch erkennbar, ihre Gestalt wandelt, schlanker wird, Biegungen vollführt und sich dem freien Pinselstrich des Malers unterwirft. - Überhaupt die Tierform: Nicht eindeutig zuzuordnen - es mögen Antilopen, Pferde oder schlanke Hunde sei - passen sie sich in manieristischer Grazilität dem Bildrahmen an, stoßen bisweilen an den Rand, ohne ihn zu überschreiten, tänzeln, verbiegen sich, sind eigentlich Luftwesen ohne jede Bodenberührung. Insofern in Dessus am weitesten von den drei Malern von der Architektur entfernt.
Ob sich nun die Maler gegen den Raum gewehrt, sich ihn einverleibt, sich ihm angepasst oder ihn einfach ignoriert haben, können Sie mit den Künstlern selbst diskutieren, wozu ich Sie herzlich einlade.
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