Rede zur Eröffnung der Ausstellung Zwei Generationen – Fiona Léus und Claudia Poeschmann Im Landtag Rheinland-Pfalz am 18. Oktober 2000
Guten Abend, meine sehr geehrten Damen und Herren,
„Älterwerden heißt ein neues Geschäft antreten: Alle Verhältnisse ändern sich. Und man muss entweder zu handeln ganz aufhören, oder mit Willen und Bewusstsein das neue Rollenfach übernehmen“ – so Johann Wolfgang Goethe. „Jeder Mensch muss sich verschleißen. Das wäre ja schrecklich, wenn er nicht verschlissen wäre und dann schon sterben würde – wäre ja schrecklich. Es ist ganz egal, in welchem Beruf man sich verschleißt. Aber verschleißen muss man sich. Das heißt, man muss sich vollkommen bis zur Asche verbrennen, sonst hat es gar keinen Zweck. Wenn man am Ende noch zu gut in Schuss ist, wenn alles noch zu gut erhalten ist, und dann musst Du abkratzen, das ist schlecht“, so – lachend – Joseph Beuys.
Strategien der Meisterschaft
Zwei Künstlerinnen konfrontieren uns mit zwei Werkgruppen, die sich zu einer thematischen Ausstellung von seltener Konzentration fügen. Sie arbeiten mit unterschiedlichen Materialien und Techniken, sie leben unterschiedliche Biographien, es gibt nur wenige Berührungspunkte in ihrer Werkgeschichte. Indes – beide um die fünfzig – beschäftigen sie sich mit der Frage nach dem Phänomen der Generation. Und damit sind, einmal abgesehen von historischen Betrachtungen, Stichworte wie Zeit, Alter, und also auch Tod aufgerufen.
Ich habe keine Theorie darüber, zu welchen Lebenszeiten Künstlerinnen sich solch existenzieller Themen annehmen, sicher aber ist, dass Künstler die eben aufgeworfene Forderung nach „aktivem Altern“ wohl am konsequentesten verwirklichen. Sie realisieren für uns andere ein Lebensmodell, das einmal mit „Strategien der Meisterschaft“ bezeichnet wurde. Dabei geht es ausschließlich um die Vollendung von Werken und nicht um die Vollendung der Persönlichkeit. Ganz hart formuliert es Thomas Mann, indem er behauptet: „Nur das Werk entscheidet über den Wert des Erlebten und Erinnerten. Wenn die Vergangenheit nicht im Werk aufgehoben wird, ist sie verloren.“
Das Werk an sich ist also bereits Ausdruck und Ergebnis der Arbeit am Erlebten, am Schicksal, an der Geschichte, an der Menschenzeit. Wobei die Zeitwahrnehmung, das Bewusstsein eines jetzt, eines früher und eines danach, zu den gleichzeitig faszinierendsten und unheimlichsten Phänomenen gehört, zu denen die menschliche Psyche befähigt ist.
Zwei Versuche, die erlebte Zeit zu ergründen
Es mag unter anderem an dieser Faszination liegen, dass Künstlerinnen versuchen, die Zeit – und zwar nicht als physikalisches Konstrukt, sondern als erlebte Zeit - zu ergründen. Claudia Poeschmann und Fiona Léus nähern sich dem Phänomen aus unterschiedlichen Richtungen. Die erste malt das Porträt einer Generation von Frauen, ihrer eigenen Generation. Sie geht von selbst angefertigten Photographien aus, sie vermeidet jede schmückende Beigabe, selbst die Frisuren der Frauen sind bestenfalls angedeutet. Seit zwei Jahren arbeitet sie an dieser Serie, 52 Porträts sind bisher entstanden, 22 davon sehen Sie hier. Für die Zukunft hat die Malerin sich vorgenommen, Frauen in anderen Ländern, anderen Kontinenten zu porträtieren. So entsteht, nach einem strengen, formal reduzierten Verfahren allmählich ein Fundus von Gesichtern, eine Bestandsaufnahme aus individueller Sicht, eine künstlerische Spurensicherung.
Claudia Poeschmann verlässt sich dabei auf ein altertümliches, klassisches Verfahren, und begibt sich in die lange Tradition der Porträtmalerei. Fiona Léus macht sich das moderne Konservierungsmittel des Alltags zu eigen und übernimmt zusätzlich den Blick anderer. Sie hat Menschen der Generation um die achtzig um Fotos gebeten und verarbeitet dieses Material aus dem ungeordneten kollektiven Gedächtnis, indem sie analysiert, verfremdet, kombiniert und wieder synthetisiert. Der intime persönliche Rahmen der Fotografierten bleibt dabei gewahrt. Die Elemente der Photo-Graphics entstammen immer einem sozialen Umfeld. Es ist entweder nur ein Foto benutzt worden, wie bei der „Tanzstunde“, oder es gibt verschiedene Fotos eines Paares, das sich in seiner jungen Verliebtheit dokumentiert hat. Andere Photo-Graphics bedienen sich mehrerer Aufnahmen, die zum gleichen Anlass entstanden.
Die hier gezeigte Werkgruppe hat Vorläufer in der Arbeit der Künstlerin. 1997 entwickelte sie eine Installation mit Fotos, Film- und Videosequenzen sowie ererbten Fundstücken als Hommage an ihre verstorbene Mutter, und 1999 beteiligte sie sich mit einer Installation an der Ingelheimer Ausstellung „Erinnerung und Gegenwart“.
Begegnung von Generationen
Zwei Generationen begegnen sich also, die Eltern und Kinder sein könnten und die sich bei heutiger Lebenserwartung ohne Schwierigkeiten auch wirklich täglich begegnen. Denn der Mensch erscheint heute nicht mehr als eingezwängt in den linearen Zeitpfeil der Geschichte, sondern kann schaffend einige von ihren Epochen überdauern. Wenn in Zeitungsmeldungen über Hundertjährige Geschichte und Biographie probeweise verschränkt werden, dann liest man solche Sätze wie „Sie heirateten, als der Kaiser abdankte“. Der Mensch wird durch sein hohes Alter also bereits zum Historiker seiner selbst, zumindest zum Protokollanten.
Den Porträtierten von Claudia Poeschmann sind wir nahe, sie gehören in unsere Zeit, sind Zeitgenossinnen. In den Photoarbeiten von Fiona Léus blicken wir zurück auf eine Zeit, als die fotografierten Menschen jung waren. Wie sie heute sind, ob sie überhaupt noch leben, können wir nicht einmal ahnen. Die fotografierten Fragmente formen sich dennoch zu Porträts, wenn man damit nicht nur das Gesicht meint, sondern das Bild des Menschen, wie er sich als ganze Person zeigt, in Kleidung, Gesten, Körperhaltung, auch in welcher sozialen Situation er sich zeigt, mit welchen Menschen er sich umgibt, wer ihm nahe ist – wen die Hände berühren und wie.
Die Künstlerin hat diese Elemente des Porträts mithilfe von Computer- und photographischer Technik auseinandergenommen, die Menschen und Situationen auf den Schnappschüssen in Einzelteile zerlegt, sie entweder isoliert und vergrößert, dadurch in ihrer Bedeutung als „Indizien für Leben“ hervorgehoben oder ihre Gleichartigkeit durch Reihung und Vervielfältigung betont. Da bekommen plötzlich Schuhe eine Bedeutung, Hüte, Handschuhe, Hände, - und das alles trägt eine Aura der Vergänglichkeit, weil offensichtlich Vergangenheit.
Vergänglichkeit
Es sind Vanitas-Bilder, die auch sagen: siehe diese Menschen mit ihrer noch glatten Haut, in ihrer scheinbar unbeschwerten Jugend, mit ihren kleinen Vergnügungen, ihren kleinen Eitelkeiten. Sie sind unschuldig, aber sie werden Leid erfahren, sie werden gequält werden, sie werden sterben. Die Geschichte, deren Subjekt und Objekt sie gleichermaßen sind, wird sich in ihren Gesichtern abdrücken, unausweichlich.
Denn die Zeit steht nicht still, und in einem ebenso riesigen wie – aus anderer Warte – winzigen Sprung in dieser Geschichte ist diesen jungen Leuten aus den vierziger Jahren hier schon die Generation ihrer Töchter gegenübergestellt, und zwar heute bereits doppelt so alt, wie sie selbst damals waren. Frauen um die 50, die alle meinen, sie seien ungünstig getroffen, zu alt dargestellt, die Haut zu brüchig und erdig und gar nicht frisch. Schmucklos und ganz ohne irgendein modisches Accessoire.
Und in der Tat, diese lange Reihe scheinbar gleichartiger Gesichter, die für einen Moment aus dem Dunkel hervorleuchten, strömt Morbidität aus, Sterblichkeit. Aus dem Nichts, aus dem Staub sind sie entstanden, und dahin werden sie wieder zurückgehen. Darin sind sich alle gleich.
Aber nähern wir uns ihnen, überwinden wir die seltsame Scheu, die uns vor solch eisklaren und uns frontal entgegentretenden Porträts überkommt, leuchten sie ein zweites Mal, dieses Mal wirklich von innen, und erstrahlen in der Schönheit ihrer Geschichte. Ihre Individualität besteht in ihrer Biographie, die wir spüren, ohne sie zu wissen – ebenso wenig wie die der älteren Generation auf den Fotos – und die uns neugierig macht. Der Ausdruck dieser Menschengesichter, dieser Gesichtslandschaften, ist Spiegelung des Eindrucks, den das Leben auf ihnen hinterlassen hat. Faltenfreier wäre lebloser.
Das eigene Gesicht im Spiegel
Ein Gedanke: Wie kommt es eigentlich, dass wir fotografierten oder gefilmten Gesichtern anzusehen meinen, aus welcher Zeit sie stammen, und zwar jenseits von Indizien wie Kleidung, Schminke oder Abbildungsstil. Hat jede Zeit ihre eigenen typischen Gesichter? Wie würden die Menschen des Mittelalters aussehen, hätten wir Fotos von ihnen?
Ebenso eine anthropologische wie eine philosophische Frage. Denn jedes Fremdbild, jede Wahrnehmung des Außen und des Gegenüber enthält immer auch uns selbst. Und so hängt zwischen den Frauen auch das Selbstporträt der Malerin. Sie weiß, dass sie, wenn sie ihre Generationskolleginnen anschaut, auch immer in einen Spiegel sieht.
Mir scheint, auch die Selbstwahrnehmung und die Selbstdefinition beschäftigt die beiden Künstlerinnen, und damit haben sie jenseits der beiden Generationen, die sie hier vorstellen, einen wesentlichen Moment der Kunst überhaupt erreicht – kurz nach der Hälfte des Weges.
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