Rede zur Eröffnung der Ausstellung Michael Wolff: „Erinnerung an Echo“ in der Deutschen Klinik für Diagnostik, Wiesbaden, am 12. Mai 2002
Guten Tag, meine sehr verehrten Damen und Herren,
ich spreche gerne zu Ihnen heute Nachmittag, weil ich weiß, dass Künstler hier bei der DKD gut behandelt werden. Weil ich weiß, dass ihre Werke nicht nur als Dekoration von Büros gesehen werden und dass die Kunstausstellung nicht nur als Beweis von „good will“ und als steuerlich absetzbarer Anlass zur Einladung von Geschäftsfreunden missbraucht wird, sondern dass es um sie, die Kunst, selbst und ihre Schöpfer, die Künstler, geht. Viel zu viele Betriebe schmücken sich mittlerweile mit „Vernissagen“ - das Wort „Ausstellungseröffnung“ klingt ja viel zu banal - und viel zu viel Schindluder wird seit geraumer Zeit von Möchtegern-Galeristen und Event-Managern getrieben, die die Kunst als Sahnehäubchen auf allerlei Marketingunrat entdeckt haben. Kosten darf das ganze selbstverständlich nichts. Hier in der DKD ist es anders.
Michael Wolff weiß ein Lied davon zu singen, und Michael Wolff, der „Macher“, hat sich schon auf vieles eingelassen. Er ist nicht der Elfenbeinturm-Künstler, der - abgeschirmt durch Galerien und Kuratoren - seine Arbeiten sorgsam zurückhält und nur da und dort sich sehen lässt, wenn es unumgänglich ist. Nein, Michael Wolff geht voll rein, er verausgabt sich im Wortsinn, er nimmt vieles in Kauf, er macht viel mit. Er ist das Gegenteil eines Karrierekünstlers, und deswegen lieben ihn manche nicht, und unheimlich ist er vielen sowieso.
Ich kenne den Michael schon einige Jahre, und so ganz habe ich auch nie verstanden, wie er eigentlich arbeitet, bis meine Frau Christiane Schauder und ich ihn letztes Jahr zu unserem mittlerweile notorischen Projekt „...3x klingeln“ in Mainz eingeladen haben und erleben durften, wie er mit einer traumwandlerischen Manie und einem selbstvergessenen Einsatz eine Rauminstallation, betitelt „Ein-Wand“, realisierte, die in ihrer Einfachheit, Konsequenz und Effektivität zu den Highlights meiner bisherigen Kuratorentätigkeit gehört.
Auch deswegen spreche ich gern über den Künstler Michael Wolff heute Nachmittag. Meine Absicht: der Faszination, der Überraschung, dem ebenso unbestimmten wie tiefen Erlebnis in der Konfrontation mit Kunst Worte zu verleihen und es damit nachhaltiger, haltbarer und mitteilbarer zu machen.
Am Beginn ein Mythos
Womit beginnen? Wir machen es uns heute einfach und steigen über die Titel ein, den Titel der Ausstellung „Erinnerung an Echo“ und die Titel der Bilder.
Man sollte immer Geschichten erzählen. Und ich möchte Ihnen an dieser Stelle - einfach weil es eine schöne Geschichte ist, aber auch, weil diese Geschichte eine Dimension im Werk von Michael Wolff eröffnet, von Narziss und Echo erzählen, und zwar so, wie uns Ovid in seinen Metamorphosen die Sage überliefert. Ovids Metamorphosen, ein zusammenhängendes Gedicht in fünfzehn Büchern, erschien im Jahre 8 unserer Zeitrechnung, als Sammlung von zahlreichen vor allem griechischen Mythen, die alle von Verwandlungen - Metamorphosen eben - berichten.
Auch Echo und Narziss wurden verwandelt, in einer ebenso tragischen wie bezaubernden Form. Der schöne Jüngling Narcissus war begehrt von Jungen wie von Mädchen, unter anderem von der Nymphe Echo. Er jedoch wies ihre Annäherungen zurück und besiegelte damit ihr weiteres Schicksal. Die Nymphe Echo war ohnehin bereits mit einer seltsamen Behinderung belegt: Sie konnte nicht von sich aus sprechen, sondern immer nur die letzten Worte von anderen wiederholen. Dies hatte ihr die Göttin Hera als Strafe auferlegt, weil sie diese regelmäßig durch Geschwätzigkeit aufgehalten hatte, wenn sie, Hera, wieder einmal ihrem Gatten Zeus und seinen Amouren hinterher gewesen war. Echo also konnte nur nachplappern, nichts von sich aus sagen. Ein schweres Schicksal. Nun verliebt sie sich - wie viele andere - in den schönen Narziss. Und er entzieht sich ihr - warum, ist nicht überliefert. Vermutlich, weil er meinte, dass noch schönere Mädels auf ihn warten. Ein Macho.
Was passiert mit der armen Echo? Ich zitiere aus der Übersetzung von Reinhart Suchier in klassischen Hexametern:
„Sie, die Verschmähte, birgt sich im Wald, mit Laub das verschämte Antlitz deckend, und lebt fortan in entlegenen Höhlen. Aber die Liebe bleibt ihr und wächst vom Schmerz der Verachtung. Wachende Sorge verzehrt den kläglich vergehenden Körper; Siechtum macht einschrumpfen die Haut, und die Säfte des Leibes Schwinden gesamt in der Luft. Nur Stimme ist übrig und Knochen. Stimme bleibt; zu Gestein - so sagen sie - wurden die Knochen. Seitdem birgt sie der Wald, und nie im Gebirge gesehen, Wird sie von allen gehört. Als Schall nur lebt sie beständig.“
Ein Mädchen, sich in Liebe verzehrend, verwandelt sich in einen Schall, ein akustisches Phänomen, das Echo, wie wir es kennen. Denken Sie einmal an sie, wenn Sie im Gebirge rufen und sich selbst antworten hören.
Eine Metapher der Neuen Medien
Aber Narziss kam nicht ungeschoren davon. Ein anderer ebenfalls verschmähter Liebhaber verfluchte ihn: „So mag lieben er selbst, und nie das Geliebte besitzen“. Dem Narcissus war früher bereits in der üblichen berüchtigten Undeutlichkeit sein Schicksal geweissagt worden: Er werde ein hohes Alter erreichen, „solange er sich nicht kennt“. Was das bedeuten sollte, zeigte sich jetzt in fataler Weise: Er, der umschwärmte Macho, verliebte sich zwanghaft und unsterblich in sein eigenes Spiegelbild, wie er es in einer klaren Quelle, aus der er trinken wollte, plötzlich erblickte. Und er verharrte unlösbar vor diesem virtuellen Bild, unfähig sich zu trennen, aber ebenso unfähig, sich mit dem Gegenüber zu vereinigen. Das daraus sich ergebende Dilemma ist geradezu eine Parademetapher für alle Bildphilosophien der neuen Medien geworden.
Das Schicksal des Narziss, der natürlich in dieser Verharrung regelrecht verhungerte, rührte viele, selbst Echo trauerte um ihn. Und auch Narziss übrigens entschwand, bzw. transzendierte, bevor man ihn beerdigen konnte. Die Narzisse, „ein Blümlein safrangelb, um die Mitte besetzt mit schneeigen Blättern“ - so Ovid - blieb von ihm übrig. Auch an Narziss sollten Sie denken, wenn Sie die nach ihm benannten Frühlingsboten sehen.
Um diese beiden Figuren aus der klassischen Sagenwelt also geht es offenbar bei Michael Wolff. Das überrascht vielleicht, denn mythologische Themen vermutet man in den Bildern und Objekten zunächst nicht.
Formale Annäherungen
Wenn in Ihnen ein Thema zu finden ist, dann offenbar in extremer Reduktion auf Prinzip und Ursprung. Betrachten wir die Arbeiten also einmal formal. Zunächst fällt auf, dass es häufig zwei Elemente sind, die das Bild oder die Plastik bestimmen. Zwei Linien begegnen sich, zwei Flächen stoßen aufeinander, zwei Formen kommunizieren, und ihr Zueinander und Miteinander bewirkt die Spannung des Bildes. In den Titeln ist - abseits vom Mythologischen - die Zweiheit, die Dualität ebenfalls angesprochen. Wir finden „Begegnungen“, „Gegenüber“, „Warten auf...“, „Brief an...“. Die Kommunikation von zwei Elementen ist also durchaus auch menschlich zu verstehen.
Zu den Farben: in den Bildern ist kein „Farbgeschehen“ feststellbar, auch wenn Farben sehr bewusst gewählt werden, sei es für die Anlage der Flächen, sei in Form von farbigem Licht. Man kann von Monochromie sprechen.
In den Lichtobjekten setzt Michael Wolff mit den grauen Filzflächen eine extreme „Nichtfarbe“ ein, vielleicht besser: „Gegenfarbe“. Das Material selbst ist auch nach Beuys „unkünstlerisch“, spröde, wertlos. Dem entgegengesetzt wird ein Eingriff durch eine besonders hervortretende, prominente Farbigkeit des neongrünen Lichts. Die Formen erleben wir als Einschnitte, Durchbrüche. Hinter dem Grau, hinter der Farblosigkeit liegt das Licht, die Farbe. Sie realisiert sich aber nur auf dem und durch das ursprünglich „graue“, farblose Material. Sinnfällig wird in dieser Metamorphose von grau zu grün, dass wir es bei Farben nur und immer mit Licht verschiedener Wellenlänge zu tun haben, dass es keine absolute, dem Material eigene und von Umgebungsbedingungen unabhängige Farbigkeit gibt. Die Lichtobjekte sind dafür geradezu ein Lehrbeispiel. Die Farbe ist das Echo des Lichts.
Gemaltes Licht
Diese Virtualität nun versucht Michael Wolff in seinen Bildern zu malen. Gibt es „gemaltes Licht“? Natürlich gibt es das, das ist Thema und höchste Herausforderung seit vielen Jahrhunderten Malerei, ob bei Vermeer oder Caravaggio, ob bei Cezanne oder den Impressionisten.
Aber „gemaltes Licht“ gibt es auch wieder nicht, denn es kann immer nur um Lichtspuren, Lichteffekte, Zeugen und Zeugnisse von Licht gehen, Indizien dafür, dass Licht da war. Denken Sie an galaktische Explosionen, deren Widerschein uns nach Lichtjahren erreicht. Da könnte man sich verlieren wie im eigenen Spiegelbild.
Wolff reduziert in einigen Bildern die Lichtspuren auf einfachen „Schein“, man ist erinnert an Lichtkegel von Spots auf dunkler Bühne, an aus Ritzen, Schlitzen und Öffnungen, hinter Türen und Vorhängen sich herauswindendes, herausfließendes Licht, an Strahlen von Scheinwerfern am nachtschwarzen Himmel. All diese Assoziationen, Hilfskonstruktionen, will Wolff aber offenbar verbannen und austreiben. Der Versuch des Künstlers, seine Anstrengung, zum Eigentlichen vorzudringen und es festzuhalten und mitzuteilen, ist verzweifelt spürbar, allein sein Scheitern tritt ebenso unabweislich hervor: Licht an sich ist nicht malbar, nur seine Spuren, sein Existenzbeweis auf der Dingwelt ist abbildbar - womit eine erhebliche Konsequenz einhergeht: Wer Licht abbilden will, muss die absolute, gegenstands- und bedeutungsfreie Malerei verlassen, kann nicht mehr „abstrakt“ arbeiten, wie der gebräuchliche Ausdruck ist. Der Maler des Lichts ist notwendig ein gegenständlicher Maler.
Auch das mag Sie überraschen, die Sie vermutlich beim ersten Anschauen den Eindruck hatten, diese Malerei sei „gegenstandslos“ und hätte mit nichts anderem zu tun als mit sich selbst.
Die Farbe, das Licht, der Raum. Michael Wolff, der Maler des Lichts, der im Telefonbuch als Bildhauer verzeichnet ist, hat nicht nur, wie hier in einigen kleinen Beispielen zu sehen, klassische Bildhauerwerke geschaffen, die Volumen und Gewicht haben, aus konkretem Material bestehen und anfassbar sind.
Er hat auch Räume aus Licht gebaut. Vier Vierecke, aus Salz auf den Boden gestreut, schrägwinklig die perspektivische Ansicht eines Fensterkreuzes vortäuschend und bei völliger Dunkelheit mit Schwarzlicht, also UV-Licht, beleuchtet, ergaben in der Georg-Müller-Stiftung in Eltville ein immateriell strahlendes, räumlich kaum zu lokalisierendes Bild, eher: eine Erscheinung.
Ebenso sei an die in Mainz in einem verdunkelten Schulflur installierte Staffelung von im Raum waagerecht und ansteigend hängenden weißen Stäben erinnert, die - wiederum mit Schwarzlicht zum Leuchten gebracht - den magischen Eindruck einer ins Unendliche führenden Treppe erzeugten.
Vom Raumkörper zum Zeichen
Auch in manchen Bildern provoziert Michael Wolff Raum- und Körpervorstellungen, schafft durch Andeutungen perspektivischer Verzerrungen virtuelle Gebilde, die die Fläche verlassen, am deutlichsten vielleicht in den „Begegnung“ betitelten schwarz-weiß-grauen Arbeiten. Es begegnen sich darin jeweils zwei Flächen, die einen Körper zu bilden scheinen. Räumlichkeit wird noch unterstützt durch unterschiedliche Graustufen, die wie Beleuchtungseffekte - also wieder Lichtspuren - wahrgenommen werden.
Das Verbindungsglied zu den Lichtkästen stellen schließlich die Rostbilder dar, die auch haptisch-materiell drei Ebenen in sich tragen. Da ist eine Grundfläche aus gerostetem Stahlblech, vom Künstler durch experimentelle Verfahren zielbewusst gezüchtet. Man könnte das Verbum „rosten“ geradezu transitiv benutzen: Michael Wolff „rostet“ das Blech - und leitet damit die Metamorphose des Metalls ein, Beweis übrigens für die detaillierte Materialkenntnis des Künstlers, die sich in allen Arbeiten niederschlägt.
Wie auch bei den Lichtkästen hat er die Grundfläche eingeschnitten, und der Ausschnitt gibt eine dahinter liegende Farbfläche frei, in strahlendem Blau.
Die dritte Ebene liegt davor und wird aus aufgeschweißten Drähten gebildet, deren Linienführung wiederum Körperformen ahnen lässt.
Farbe, Licht, Raum - und Zeichen. Die Form, schmäler werdend, wird zum Strich, zum Zeichen und gewinnt in dieser Verwandlung eine weitere, abstrakte Qualität. So wie von der Nymphe Echo nur noch ein immaterieller Klang übrig bleibt, tendieren die Pinselzeichnungen, die ich jetzt meine, zur Schrift, also zur Sprache, geschrieben allerdings in einem individuellen, vom Künstler erdachten Alphabet. Diese Serie ist folglich „Briefe“ betitelt. In ihnen erkennen wir den Ursprung der Schrift auf dem Weg von der Form zum Zeichen, von der Materie zur Bedeutung.
Und ein wenig wird in diesem Qualitätssprung die große Metamorphose in der Menschheitsentwicklung spürbar, für die vielleicht die Sage von Echo das schönste Gleichnis ist.
Vielen Dank.
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