Rede zur Eröffnung der Ausstellung von madé im Maison de Bourgogne, Mainz, am 8. Mai 2003
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
als Mélita Soost mich vor einigen Tagen spontan fragte, ob ich heute Abend eine kleine Einführung zum Werk von madé geben könnte, habe ich gern zugesagt, aus mehreren Gründen:
- für einen guten Wein tue ich manches
- ich schätze die Arbeit von madé sehr, wir haben sie schon 1999 innerhalb der zweiten Aktion 3x klingeln ausgestellt, später durften meine Frau und ich sie in Champlay besuchen, und ich eröffnete 2001 ihre Ausstellung im Schloss Waldthausen
- nicht zuletzt ist sie eine sehr sympathische Künstlerin, und das hat sie mit diesem Haus und seiner Leiterin und seinen Mitarbeitern gemeinsam. Ein weiterer Grund, gern hier zu sein. Ich glaube, über das Maison de Bourgogne, das Haus der Sympathie, brauche ich Ihnen gegenüber kein weiteres Wort zu verlieren.
Wohl aber, und dazu möchte ich die Gelegenheit nutzen, sollte man auch ganz sachlich das kulturelle Engagement betonen, das von Mélita Soost und dem Regionalrat Burgund ausgeht. In einer Zeit, in der Mainzer Politiker, in deren Amtsbezeichnung das Wort „Kultur“ vorkommt, sich von dieser Aufgabe allmählich verabschieden, ob gewollt oder ungewollt, sei dahingestellt, engagieren sich Institutionen und Menschen, denen Kunst und Kultur wirklich am Herzen liegen umso mehr.
So sind im Moment z. B. hervorragende Ausstellungen an Orten wie Schloss Waldthausen oder auch im Abgeordnetenhaus des Landtags zu sehen, und diese kleine Werkschau – das sehen Sie sofort – hat ebenfalls hohes künstlerisches Niveau.
Apropos andere Orte: Die Mainzer Neustadt-Biennale „3x klingeln“ findet wieder statt, am 12. und 13. Juli. Traditionell stellen wir dabei Künstler aus Burgund aus, außer madé waren etwa schon Bernard Metzger, Didier Dessus, Alain Bourgeois und Luc Adami dabei. Dieses Mal sind es Pierre-Yves Magerand, Patrice Ferrasse und Anne de Villèlle, zum Teil Stipendiaten im Rahmen der Burgundisch-rheinland-pfälzischen Partnerschaft. Und ich erwähne das natürlich, um Werbung für die Veranstaltung zu machen, aber vor allem, um jetzt schon Mélita Soost und dem Regionalrat zu danken, die das Projekt in diesem Jahr finanziell unterstützen.
Sie sehen: Haus Burgund, der Landtag mit den Aktivitäten von Manfred Geis und Frau Steinwand und früher Doris Peckhaus, Schloss Waldthausen mit Michael Riemann und 3x klingeln – da haben sich Netzwerke entwickelt, in denen das Arbeiten Spaß macht und an die man sich später vielleicht lieber erinnert als an manche der genannten Amtsträger.
Madé nun hat sich jetzt zum zweiten Mal auf dieses eigentümliche und charmante Ladenlokal eingelassen – und sie tut es mit Sorgfalt und Überlegung. Wenn man mit ihr spricht, fällt häufig das Wort „recherche“, mit dem sie ihre Arbeit bezeichnet. Forschung, Untersuchung, experimentelle Praxis sind Stichworte für ihren Ansatz.
Was sind madé’s Forschungsgebiete?
Zunächst einmal das Material, ganz real und konkret. Es geht um Techniken des Farbauftrags. Zwei Beispiele:
Die wunderschöne schlichte Arbeit draußen im Aquarium besteht aus Glasplatten, deren hintere Seite systematisch aufgeraut ist, durch Schleifen. Die poröse Oberfläche erlaubt das Aufbringen von Pigmenten, und madé reibt Pastellkreiden darauf ab.
Damit nicht genug: Die erste der Platten, also die linke, weist keine Farbe, sondern zwei sich großenteils überlagernde Schleifschichten auf, so dass zwei Rechtecke übereinander ruhen, deren Oberflächen einen minimalen Unterschied in der Dichtigkeit und damit Transparenz aufweisen.
Und die äußerste rechte Tafel ist nicht mit Kreide sondern mit Ruß eingefärbt, ebenfalls ein äußerst ungewöhnliches und diffiziles Verfahren. Aber Sie hätten’s ohne diese Erklärungen ebenso wenig gewusst wie ich, vermute ich. Madés Techniken treten zurück, sind nicht Selbstzweck, sondern dienen ausschließlich der Bildwirkung, in diesem Fall den unterschiedlichen Transparenzeffekten und damit auch den Farbwirkungen hinter den Bildern, d. h. auf dem weißen Hintergrund. Das sollten Sie sich genau anschauen, vielleicht auch einmal zu verschiedenen Tageszeiten.
Zweites Beispiel: Die großen Rechtecke im Zentrum der drei Arbeiten auf dieser Wand hinter mir weisen ebenfalls geringfügige Differenzen in den Farbwerten auf. Erklärung: Die MDF-Platten sind mit unterschiedlich vielen Schichten derselben Farbe bedeckt. Und am Ende – auch dies ein Forschungsergebnis der Künstlerin – wird alles mit Filz poliert. Es verschwinden so die Spuren der handwerklichen Arbeit und des Pinselstrichs. Die Bilder haben eine glatte, fast perfekte Oberfläche, ohne jedoch industriell hergestellt zu sein – was auch möglich wäre. Nein, es ist immer noch reine Malerei.
Gesetzmäßigkeiten
Untersuchung, Forschung, Experiment: Als Wissenschaftler denke ich dabei natürlich auch an Theorie, Hypothesen und Gesetze. Als ich madé fragte, warum sie zu diesen zentralen Tafeln, die klare, gesättigte Primärfarben zu demonstrieren scheinen, genau jene zarten Pastellfarben auf den kleinen Bildteilen fügt, erwartete ich eine komplizierte theoretische Erklärung, aber nein: Ebenso überraschend wie erfrischend war ihre Antwort: Weil sie mir so gefallen, wer weiß warum.
Und insofern ist madé nur bedingt eine Künstlerin der konkreten Schule wie Max Bill oder Richard Paul Lohse, die alle in Manifesten und komplizierten Abhandlungen die Prinzipien der Bildgestaltung im Detail theoretisch und ideologisch formuliert haben.
Dennoch gibt es eine innere Systematik bei der Künstlerin, wenn auch großenteils versteckt. So entspricht z. B. die Größe der Quadrate auf den Glasflächen draußen der ersten Platte jener liegenden weißen Arbeit dort auf der inneren Schaufensterbank. Viele andere Größenbeziehungen lassen sich nennen, madé geht von bestimmten persönlichen Dimensionen aus, auf die sei immer wieder zurückgreift.
Und natürlich braucht es eine exakte Konstruktion, bevor man mit den mehrteiligen dreidimensionalen Serien geometrischer Körper den Eindruck der kontinuierlichen Kurve erzeugt, obwohl jedes einzelne Segment aus planen Oberflächen besteht.
Farbe und Licht
Aber noch einmal zurück zur Farbe. Den Materialaspekt habe ich erwähnt, aber viel interessanter ist natürlich der virtuelle Effekt, das eigentliche Bild. So wie das Wort Farbe für uns zweierlei bedeutet: Das Material, z. B. „Lackfarbe“ im Topf, aber auch den visuellen Eindruck, die Farbwahrnehmung, so sprechen wir von Bildern an der Wand und gleichzeitig von Bildern im Auge, besser: im Gehirn. Und genau diesen „Quantensprung“, möchte ich fast sagen, bezeichnet und erforscht madé seit langem. In den kleinen Winkeltafeln ergibt sich das Bild für uns erst durch das Licht. Die farbige Seite der Körper liegt frecherweise hinten, auf der Rückseite. Das Bild, der farbige Lichteindruck, erscheint ungreifbar auf der Wand, dem Bildhintergrund. Aber er verschwindet, sobald man das Werk entfernt.
Die philosophische Frage, die sich hier auftut, ist die nach dem Ort der Farbe, ein fundamentales Thema der Malerei. Dem geht madé nach, systematisch, fleißig, in ihrer eigenen Systematik aber jenseits eines theoretischen Modells, das Allgemeinverbindlichkeit beansprucht. Wieder ein Sympathiepunkt.
Thema zwei neben der Farbe und untrennbar damit verbunden: Das Licht und seine Wirkungen. Schatten, Reflexe, Transparenz, Absorption, Brechung, Interferenzen, Volumenbildung. Der Untersuchungsgegenstände sind vielerlei. Als Variablen kommen auf der Objektseite die künstlerischen Gestaltungen in Frage: Was passiert, wenn ich Farbauftrag, Material, Dichtigkeit der transparenten oder opaken Oberflächen variiere, wenn ich die Winkel zwischen den Flächen des Objekts minimal verändere? Und auf der anderen Seite das Licht selbst: Welche Wirkungen haben Kunstlicht und Tageslicht, die Tageszeit, gerichtetes oder diffuses, direktes oder indirektes Licht? Auch damit experimentiert die Künstlerin ausgiebig, hat dies auch in Videofilmen festgehalten. Immer aber geht es um das Bild, in diesem Fall den Bildeindruck, das virtuelle Bild, die Anmutung des Werks.
Körper im Raum
Ebenfalls schon erwähnt, und damit kommen wir zum dritten Forschungsgegenstand: Der Körper im Raum. Vor allem die mehrteiligen farblich bis zum Weiß – übrigens nie Reinweiß – reduzierten Objekte spielen mit den Phänomenen der Gestaltwahrnehmung. Genau kalkuliert und exakt gearbeitet, erzeugen sie Eindrücke, d. h. also wieder Bilder, die weiter gehen als das, was wirklich da ist. Der bereits genannte Effekt der Kurve oder der Krümmung wird dabei teilweise auch mehrdimensional erzeugt. Diesen Erscheinungen nachzuspüren bereitet Lust am Sehen – und übrigens auch Lust zur Veränderung, denn die Anordnung der jeweiligen Elemente ist durchaus variabel. Der Betrachter kann das von madé begonnene Forschungsprojekt selbst fortsetzen.
Aber nicht nur die geometrischen kompakten Körper haben Skulpturcharakter. Auch die Wandobjekte greifen in den Raum, benutzen ihn als Bildelement. Bei den nach hinten leuchtenden Objekten ist dies evident, und die Glastafeln draußen brauchen auch ihre Distanz zum Hintergrund. Beide Werkgruppen arbeiten mit dem „Dazwischen“, einem imaginären farbigen Bildraum, der auf ebenso einfache wie raffinierte Weise erzeugt wird.
Und so fragt man sich am Ende: Ist madé nun Malerin oder Bildhauerin? Und was macht es aus, das eine oder das andere zu sein? Die Künstlerin geht viel weiter als mancher Maler, der auch einmal eine Skulptur fertigt oder mancher Bildhauer, der seine Zeichnungen ausstellt. Für sie ist die Trennung der Disziplinen obsolet und seit langem überholt, denn sie spürt den Grundfragen künstlerischer Produktion nach. Das macht ihre Arbeit, die klassisch kühl daherkommt und unendlich viele Fragen aufwirft, so faszinierend.
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