Rede zur Eröffnung der Ausstellung von Aloys Rump Im Haus Metternich, Koblenz, am 2. April 2005
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
wenn Sie sich den vier kleinen, buchformatigen Arbeiten an der Fensterseite des oberen Ausstellungsraums nähern, die Gedichte von Dylan Thomas verarbeiten, werden Sie mit einem literarisch-künstlerischen Problem konfrontiert: Aloys Rump hat den Bildern die zugrundeliegenden Texte beigegeben, und zwar nicht nur das englische Original, sondern auch die deutsche Übertragung. Was das Wort „Übertragung“ bedeutet, hier und häufig bei Lyrik anstelle von „Übersetzung“ verwendet, leuchtet sofort ein, sobald man die beiden Sprachfassungen im Detail vergleicht. Je höherwertiger und artifizieller ein Text, desto sinnloser, sinnentleerter wäre eine wörtliche, schulmeisterliche Übersetzung. Ein Drittes wird gebraucht, ein ebenso intelligentes wie intuitives Einfühlen in das, was wir Sinn nennen und was die Poesie jenseits der Worte ausmacht. Dieses wiederum nachzudichten – auch so wird Übersetzungsarbeit bisweilen benannt – ist die eigentliche Arbeit. Sie ist dem Übersetzer-Übertrager-Nachdichter zum Teil trefflich gelungen, zum Teil weniger. Aber dieses literarische soll nicht unser Problem sein.
Bilder für Dylan Thomas
Denn es geht um etwas noch komplexeres: das Nachdichten, Nachempfinden, Nachschöpfen schriftsprachlicher Texte mit visuellen Mitteln. Aloys Rump ist ein literarischer Maler. Das aufzuzeigen als einen der möglichen Annäherungswege an sein Werk, soll mein Thema der nächsten Minuten werden. Und damit befinde ich mich selbst, als Textmacher, schon wieder auf dem Rückweg zur gesprochenen und geschriebenen Sprache, aber dazwischen liegt die Bildpoesie des Künstlers.
Dylan Thomas: Waliser, einer der größten englischsprachigen Poeten, 1914 bis 1953, gerade 39 Jahre alt geworden, gemeinsam mit seiner Frau Caitlin, die ihn um 41 Jahre überlebt hat, dem unbändigen Leben, also auch dem Alkohol verfallen und ohne Zweifel ein Genie des letzten Jahrhunderts.
Um die 30 Gedichte hat Aloys Rump in Bilder ü b e r t r a g e n, und wenn man ihn fragt, wie das geht, zuckt er zunächst mit den Schultern, denn wir betreten in diesem Moment das – nein, nicht das Niemandsland, aber das unbekannte Land zwischen Text und Bild.
Von hinten aufgezäumt, versuchsweise: Bilder können wir wiederum beschreiben, und je sorgfältiger wir das tun, desto mehr lernen wir über sie. Aloys entfaltet eine Farbigkeit zwischen Ultramarin, Weiß, Schwarz und dem ganzen Universum, das dazwischen liegt. Grobe Leinwand, spürbare Materialität. Bilder wie Ausblicke aus kleinen Dachfenstern, Ausschnitte, sehnsüchtige Fernblicke: Nachthimmel? Taghimmel? Firmament?, ja: Firmament. In „Lift up your face“ – „Heb dein Gesicht“ spricht Thomas selbst vom Himmel, vom Licht, in das wir blicken sollen, das uns Nachtgespenster, Hirngespinste, Alpträume des Tages und der Nacht vertreibt. Und der Maler zeigt uns sein dunkelstes Bild aus der Serie, dies aber einem Licht und einem Außen – auch einem außerhalb des Bildes und außerhalb des Künstlers womöglich düsteren Gedanken findbaren Leuchten – zustrebend.
Ein anderer Text – wie alle vier hier übrigens aus der ersten Hälfte der 30er Jahre stammend und damit aus den ersten und wichtigsten Veröffentlichungen des Dichters – spricht von den Fingern einer Hand, die unterschrieb – The Hand that Signed the Paper - : das Todesurteil für eine Stadt, ein Land, Menschen. Befehl zur Bombardierung? Marschbefehl? Kriegserklärung? Genozid? Wir wissen alle, was eine unterschreibende Hand ausrichten kann. Einer der stärksten Sätze aus den Gedichten von Dylan Thomas: „Hands have no tears to flow“ – „Hände können keine Tränen vergießen“.
Und das Bild dafür, das Bild davon? Ein Lichtblitz, eine Eruption von Energie – todbringender, wenn wir den Text kennen - Assoziationen zu jeder Art zerstörender Gewalt - vielleicht.
Ja, vielleicht, denn möglicherweise sehen Sie etwas ganz anderes als ich. Noch ein Phänomen, wichtig und nicht zu unterschätzen: Wir sehen vor allem, was wir wissen. Und die Texte, die Bezüge, die Titel lenken unsere Bildempfindung. Würden wir die vier kleinen sehr konzentrierten Gemälde anders wahrnehmen, wenn wir die Texte nicht zur Hand hätten? Ein weites Feld, aber es ist wert zu beackern, denn: Aloys Rump ist ein literarischer Maler.
Zwischen Ruhe und Spannung
Das kann auch auf höchst abstraktem Niveau untersucht werden, und jetzt springe ich vom kleinen Format in das größte, das hier prominente, die Serie der schwarzweißen Bilder mit dem gemeinsamen Titel „Zwischen Ruhe und Spannung“. Es sind Holztafeln, mehrfach mit pastosem Material beschichtet, bespachtelt, beschliffen, in unterschiedlicher Weise, so dass sich eine immer zart strukturierte, aber einmal glänzend, ein andermal matt, ein drittes Mal changierend sich präsentierende helle Grundfläche ergibt. Aber, halt!, ist sie eigentlich Grund, auf dem sich die schwarze Kontur abhebt, konturiert? Liegt das Weiß hinter oder unter der schwarzen Kontur, nennen wir sie Ast oder Stab oder Schlange oder Wurm oder Form, oder blicken wir in einen Spalt, einen Riss, einen Abgrund, eine Tiefe?
Mag sein, dass diese wechselnde, kippende Tiefendimension auch gemeint ist, wenn von „Spannung“ die Rede ist. Beschränken wir uns lediglich auf das Flächenmodell, wird ohnehin schon Spannung „satt“ serviert. In Form von ruhender Energie. Oder induzierter Bewegung. Oder Vorstellung von Bewegung aufgrund einer dennoch ruhenden Bildwelt. Die einzeln gesehene Arbeit tut schon ihres: eine gebogene Form, gedrückt, wie ein Ästchen oder ein Stück Draht zwischen Daumen und Zeigefinger, kurz vor dem Moment des Brechens. In der Ruhe liegt die Option des Vorschnellens, Wegschnippsens, Rausspringens. Das kann zu einer pfeilartigen Sprungbewegung führen wie bei der Arbeit unten vor der Treppe, die uns geradezu mindestens zweistufennehmend in die Ausstellung hineinkatapultiert.
Aber den schwarzen sich schlängelnden Streifen können wir auch folgen, so dass unsere virtuelle Bewegung die Form fortsetzt, sie nachvollzieht, das Kommende vorwegnimmt, in ihrer Spur bleibt, auch über den Bildrand hinaus. Am Bildrand beginnen und enden eh die meisten der schwarzen Formen, dünn aus dem Nichts zunächst, sich verdickend zur Mitte, nach einer mehr oder minder strengen Biegung sich wieder zuspitzend und am andern Ende verschwindend. Ein Strom.
Nur einmal – zumindest in dieser Ausstellung – schwingt sich die Form zurück auf das Oben, woher sie gekommen ist. Und nur einmal hat sie keinen Kontakt zu den Bildrändern (unten im Foyer). Und nur einmal begegnen sich sogar zwei dieser elementaren Wesenheiten und schmiegen sich zu einem Stück gemeinsamen Wegs.
In der Gruppierung von drei oder vier Arbeiten ergeben sich dann regelrechte Filme. Biegungen werden verstärkt und zugespitzt und können sich auch wieder entspannen und andere Richtungen annehmen. Als ob die Ruhe nur im einzelnen Bild herrscht und in der Bildfolge die Spannung – sprich Bewegung – durchbricht.
Ist das literarisch? Insofern als ein einsames geistiges Prinzip verfolgt wird, das sprachlich benannt werden kann und im Titel ein Motto abgibt. Keine Geschichte, aber ein Gedanke. Keine Abfolge, sondern ein Abwarten. Keine Figuren, aber eine Figuration. Abstrakt-Konkret sind die Bilder nicht, dafür tragen sie zu viel gedankliche Last, die aber auch eine fruchtbare Last sein kann.
Zwischen Skylla und Charybdis
Eine gedankliche Antithese, eine Spannung, eine Gegensätzlichkeit auszudrücken, dazu kann auch eine mythische Metapher dienen. Aus frühen Zeiten (1985) stammt ein Objektkasten im unteren Eingangsbereich, der „Zwischen Skylla und Charybdis“ heißt. Der griechische Mythos erzählt vom in einer Felsenklippe hausenden Seeungeheuer Skylla und dem ihm gegenüber drohenden Meeresstrudel Charybdis, z. B. in der Meerenge von Messina angesiedelt, beide todbringend für den Seefahrer (Seefahrer ist gleich Grieche und ist gleich Mensch auf seinem Weg durch die Zeiten, Gezeiten?). Dieser nun versucht sich „dadurchzulavieren“ und weder dem einen noch dem anderen Unheil zu nahe zu kommen. Das Segel des Odysseus sehen wir gespannt, es besteht aus einem ganz besonderen Material: Goldschlägerhäutchen.
In der Zolltarifdatenbank, einem der umfassendsten und systematischsten aller Beschreibungsinstrumente für Gegenstände aller Art, die man mit sich und über Grenzen führen kann oder könnte, finden Sie unter der Abteilung „Häute, Felle, Leder, Pelzfelle und Waren daraus“ auch die Unterabteilung “Waren aus Därmen, Goldschlägerhäutchen, Blasen oder Sehnen“. Was ist das? Goldschlägerhäutchen sind Därme von Ochsen, genauer auch Blinddarmhäute von Ochsen, die deswegen so heißen, weil Goldschläger, also die Hersteller von Blattgold, in der letzten delikaten Phase ihrer Arbeit die feinen Schichten des Edelmetalls zwischen solche Därme legten, um sie zur extrem dünnen Haut zu klopfen, die den Namen Blattgold verdient. Woanders las ich auch von profaneren Verwendungsmethoden, als Hülle für Roll- und Lachsschinken.
Dass dieses Häutchen, dieses Segel, sich bis auf einen leichten Riss schon 20 Jahre gehalten hat, spricht für die Qualität des vom Künstler ausgesuchten und nur schwer zu beschaffenden Naturmaterials.
Haut
Und es geht wieder und noch weiter um Materialität. Haut, Häute heißt lapidar eine ganze Serie von Bildern, die – außer dem Blau aus den Dylan Thomas Bildern – den zweiten einzigen Farbakzent in dieser Ausstellung setzen. Es sind Arbeiten mit gelblicher Silikonlasur, die eine merkwürdige Doppelnatur zwischen Künstlichkeit, Kunststoff auf der einen Seite und Leiblichkeit, Leben, Organischem auf der anderen führen. Schon die Farbigkeit provoziert widersprüchliche Gedanken. Es ist die Farbe des Lichts, der Sonne, auch von lebendigem Material, andererseits ist sie alles andere als eine Wohlfühlfarbe, sie erinnert an Beize, an Jodtinktur, an Chemie.
Das Material wird auf den Bildgrund geschüttet, verläuft in Kippbewegungen oder wird mit einem Rakel gezielt verteilt. Lasur ist Haut, schützt darunter liegende Schichten, ist aber transparent. So wie Aloys Rump sie aufträgt, wird sie zum Hauptinhalt, Bedeutungsträger des Bildes. Darunter ist nur Weiß, das ab und zu stehen bleibt. Sie finden Arbeiten mit nur einer Haut-Schicht sowie welche, in denen drei unterschiedlich getönte einander überlagern.
So wie das Prinzip und Gegenbildpaar Ruhe – Spannung seinen Ausdruck gefunden hat, geht es hier um das Begriffsfeld Transparenz – Dichte, Verletzlichkeit – Festigkeit, Zartheit – Widerstand. Auch wenn wir meinen, in den Modulierungen und Fleckenlandschaften Pigmente und wie ins Übergroße übersetzte Hautflächen zu erkennen, es ist eher das Prinzip und die Idee von Haut als die wirkliche, uns schützende und empfindlich-sensibel-machende Oberfläche unseres Körpers. Abstrahiert-gedanklich und insofern literarisch.
Schwarze Milch
Kann man mit Kunst alles ausdrücken? Ist das Grauen kunstfähig? Die Jenseitigkeit der menschlichen Existenz? Das Unvorstellbare? Das alles Vernichtende? Auf die Frage nach der Möglichkeit oder Unmöglichkeit, nach Auschwitz noch Gedichte zu schreiben – und diese Frage stellt sich seitdem immer wieder und immer wieder anders und andernorts - , gibt es eine Antwort: Die Todesfuge von Paul Celan. Ein eindringliches Werk, von nachgerade ewigkeitlicher Wirkung.
Aloys Rump stellt sich dieser Herausforderung, einer ganz anderen als der durch andere Poesie geforderten, er sucht sie, und er schafft ein Mahnmal im Wortsinn. „Schwarze Milch“: Fünf Stelen, an die Wand gelehnt, von monumentaler Einfachheit, in seiner typischen Ästhetik der Reduktion, nichts als Holz, Stoff und Farbe, nur zwei Farben, Schwarz und Weiß, nichts anderes gibt es im Moment des Todes und des Tötens. Weiß lackierte Holzplanken sind durch Leintücher oben - im Kopfbereich - verhüllt, die Tücher sind mit schwarzer Farbe getränkt, die Farbe fließt an den Stelen herab, und Rinnsale sind ihre Spuren. „Schwarze Milch“ – die ersten Worte der Todesfuge haben eine Flut von Interpretationen provoziert. Die einfachste ist die sinnlichste: Milch, das natürlichste und erste Nahrungsmittel, Sinnbild des Lebens, verkehrt sich ins unvorstellbare Gegenteil des Schwarz, des Nichts, des Todes. Metapher für die Umkehrung der Werte, für die vollständige Negierung des Lebens und alles Lebenswerten.
Wenn Sie nach Farben suchen in dieser Ausstellung, so treffen Sie immer wieder auf jene beiden Nichtfarben, die so existenziell aufgeladen sind: Schwarz und Weiß, auch z. B. in den beiden Objekten „Unser täglich Brot“ und „Verrußtes Glas“, deren Interpretation ich Ihnen überlassen möchte. Das ist natürlich nicht der ganze Rump, er hat auch über Blau gearbeitet oder sogar über Rot. Ob das fröhlich machen könnte, ich weiß es nicht. Und ich bezweifle auch, dass es sein muss, das Fröhlichmachen.
Häuser
Vielleicht ist auch das eine Folge des Literarischen, dass es immer ein wenig ernster zugeht im Werk, da auf der anderen Seite jene Autonomie des Kunstwerks, eine der großen Errungenschaften der Moderne, auch als Losgelöstheit, Abgehobenheit, sogar Unverbindlichkeit missverstanden wurde und werden kann. Ich vertrete diese Haltung nicht, im Gegenteil, ich denke, dass es bei den großen Künstlern der Abstraktion immer ein enormes Verantwortungsgefühl, eine gesellschaftliche Einbindung und eine Moralität im besten Sinne gegeben hat. Dies gilt auch und insbesondere für Brüning und Richter in Düsseldorf und für Fred Thieler in Berlin, bei denen Aloys Rump studieren durfte.
Von den großen Monumenten möchte ich am Ende noch einmal zurückkommen auf das Kleine, Intime, dem man nähertreten muss, und das die Welt im Detail zeigt. „Häuser“, lapidarer Titel wie häufig, modellhaft und in Augenhöhe. Holzstücke, Bruchstücke, Bauholz mit eigener Geschichte, kleine Reste der von Menschen gebauten Umwelt, ihrer ehemaligen Funktion beraubt, abgerissen und auf einem der vielen Schuttplätze des fortlaufenden Alltags gelandet, werden hier unter der Künstlerhand zu Exempeln des Menschenlebens zwischen Schöpfung und Zerstörung. Diese ruinenhaften Häuser erinnern an eine frühere Zeit, fast legendär, unbestimmbar, verschüttet, versunken. Aber nicht friedlich. Brandspuren mag man erkennen. Nicht Schnee sondern Asche bedeckt die Fragmente – Marmorstaub übrigens, für diejenigen, die es wissen wollen – und wer diese Häuser ausgräbt oder findet, weiß, dass Gewalt im Spiel war, als sie vergingen. Vielleicht eine Hand, die unterschrieb. - Vielleicht.
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