Rede zur Eröffnung der Ausstellung Christiane Schauder in der Galerie Bortolotti, Dierdorf, am 14. September 1997
Biografisches
Christiane Schauder wurde 1955 im Hunsrück geboren und hat eigentlich ihr ganzes Leben lang gemalt. Sehr früh entschied sie sich, auch beruflich diesen Weg zu gehen, studierte dann in Bonn und in Mainz, später auch in Frankfurt. In Mainz lebt sie nun seit vielen Jahren, und zwar als rein freiberufliche Malerin ohne irgendwelche Nebentätigkeiten. Sie zählt also zu den erfolgreichen Malerinnen der jüngeren Generation in der Rhein-Main-Region, was sich in Stipendien und Kunstpreisen niedergeschlagen hat und auch in der Tatsache, dass ihre Arbeiten in mehreren öffentlichen und zahlreichen privaten Sammlungen vertreten sind. Christiane Schauder hat ihr Atelier im Moment noch in der ehemaligen Lampenfabrik in der Mainzer Innenstadt, die seit Jahren als Kunsthaus genutzt wird und derzeit 16 Künstler beherbergt. Leider wird das Gebäude in Kürze an einen privaten Investor verkauft.
Die Künstlerin reist gern, wobei einige Reisen auch wichtige Daten in ihrem beruflichen Werdegang markieren: Da ist vor allem, das war 1990, ein mehrwöchiger Arbeitsaufenthalt in Baku, der Hauptstadt von Aserbaidschan, eine Reise, die nicht nur die Erfahrung eines hier völlig unbekannten fortschrittlich-islamischen Landes mit sich brachte, sondern vor allem eine Begegnung und eine intensive Zusammenarbeit mit dortigen Künstlern.
1991 bis 1992 erhielt Christiane Schauder ein einjähriges Arbeitsstipendium in Soest, Westfalen. Auch diese Zeit war persönlich und beruflich sehr wichtig für die Künstlerin. Die wohl wichtigste und aufregendste Stadt für sie, der Ort auf der Welt, in den es sie immer wieder hinzieht, ist allerdings New York. Glückliche Umstände heben ihr schon viele längere Reisen dorthin ermöglicht, und nicht zuletzt konnte sie vor zwei Jahren im dortigen Deutschen Generalkonsulat ihre Bilder ausstellen.
Bildlandschaften
Nach diesen wenigen biografischen Bemerkungen nun aber zur künstlerischen Arbeit. Nach einer anfänglichen Phase figürlicher, expressiver Malerei, etwa bis 1987, wandte sich die Künstlerin mehr und mehr einer abstrakten Arbeitsweise zu. Sie selbst bevorzugt allerdings den neutraleren Begriff "gegenstandsfrei". Das Bild verlor den Gegenstand, statt dessen waren Kontur und Fläche der Inhalt, um den es ging, und zwar damals noch in klassischen, klaren Farben: rot, schwarz, blau, gelb. Im nächsten Schritt verschwanden auch die Konturen und Linien, zudem vermischten sich die Farben, wurden gebrochen und nicht mehr klar definierbar. Heute möchte man meinen, dass auch die im Bild klar abgegrenzte Fläche nicht mehr erkennbar ist. Vielmehr wird das ganze Format, einschließlich der seitlichen Ränder, zum Farbkörper. Die Organisation der Bildelemente erfolgt nicht mehr im Nebeneinander auf der Fläche, sondern in der Tiefe des Bildraumes.
In Acryl, verschiedenen Mischtechniken und Enkaustik realisiert die Malerin heute Bildlandschaften, zu deren Beschreibung also nicht der Gegenstand, die Kontur und die Fläche, sondern Strukturen und Tiefenschichten herangezogen werden müssen. In bis zu 20 und mehr Ebenen überlagern sich die mit Pinsel, Schwamm und anderen Werkzeugen aufgetragenen Farbebenen und erzeugen so einen mehrschichtigen gebrochenen Gesamtklang, der an musikalische Erlebnisse erinnert.
Immer schon gaben sich ihre Gemälde als Ergebnisse kraftvoller körperlicher Arbeit, die den Bewegungsablauf noch spüren ließen. Zur teils heftigen, teils punktuell tupfenden Pinselgeste kommen Tropf- und Schüttspuren, es wird gestrichen, gewischt, manchmal auch wieder abgeschliffen. Die Anwendung von stark in Wasser verdünnten Farben auf der Leinwand erzeugt Effekte von luftiger Durchsichtigkeit. All diese Verfahren, in der der Künstlerin eigenen Spontaneität und Geschwindigkeit angewandt, sind nur mit den schnell trocknenden, wasserlöslichen Acrylfarben möglich.
Tiefenschichten
Vor einigen Jahren entdeckte Christiane Schauder für sich die alte Technik der Enkaustik, die sie teilweise mit Acrylmalerei kombiniert. Bei dieser schon in der Antike erfundenen Methode werden Farbpigmente in heißem, flüssigem Bienenwachs gebunden und aufgetragen. Das Ergebnis ist einerseits eine pastose Struktur, also richtig spürbares Material auf der Oberfläche, aber andererseits auch eine matte Durchsichtigkeit, ein Tiefenraum aus zahllosen Schichten, die sich durchscheinend überlagern. Nirgendwo bleibt reine Farbe stehen, so wie sie einmal aufgetragen wurde. Jede Farbsetzung wird durch die davor aufgetragene Schicht, den farblichen Untergrund, verändert, wie auch durch die darüber gelegte nächste Ebene. Und genau um diese Tiefenstruktur der Wechselwirkungen geht es ihr, seit langem. Sie selbst hat eine schöne Metapher benutzt: wie beim Blick aus einem Raumschiff in der Annäherung an die Erde immer mehr Details sichtbar werden, ohne dass der Blick aufs Ganze dadurch wertlos würde, möchte Christiane Schauder verschiedene Distanzen zu ihren Bildern ermöglichen: den großen Überblick, der vor allem ihre ausgewogenen, ruhigen Kompositionen spüren lässt, ebenso wie den Blick aufs Detail, wirklich aus geringer Distanz auf kleine Flächen, durch den sich Feinstruktur und Tiefenstruktur erschließen.
Den großformatigen Acrylbildern entsprechen im Kleinen Aquarelle und Collagen, die ständig zwischendurch entstehen, vor allem auf Reisen. Diese Papierarbeiten sind keineswegs als Skizzen oder Vorstudien zu Gemälden zu verstehen, sondern folgen ihrer eigenen charakteristischen Entwicklung. Die Beschäftigung mit der Collage wurde ausgelöst durch die Erfahrung des alltäglichen Materialmangels während des schon genannten Aufenthalts in Aserbaidschan. Farben waren damals schwer oder überhaupt nicht zu bekommen, jedes farbige Stück Papier gewann plötzlich enormen praktischen Wert. So wurden Flaschenetiketten, Zeitungsausrisse, Einpackpapier und vieles andere zum Rohstoff. Aus der kleinen Collage wieder ins größere Format übernommen wurden mittlerweile Kapseln von Weinflaschen, die flachgedrückt und in großer Zahl nebeneinander auf den Bildträger geklebt, metallisch schimmernde Flächen ergeben, die mit danebenliegenden gemalten Bildteilen korrespondieren.
Reihungen
Überhaupt ist die Teilung eines Bildgrundes in mehrere einzelne Flächen wiederum ein Experimentierfeld der Künstlerin. Die Nahtstelle zwischen den Bildteilen oder der Zwischenraum sind als prägendes, auffallendes Element zu bearbeiten, entweder zu übergehen, zu betonen oder in die Struktur einzubeziehen. Reihungen, Abfolgen verschieden großer Bildflächen oder auch bisweilen das Angebot, die Anordnung der Einzelteile eines Bildes spielerisch zu variieren, beschäftigen die Malerin in der letzten Zeit. Zeichen verschiedener Art werden neuerdings zusätzlich in die Bildschichten eingearbeitet. Skriptural-gestische Bewegungsspuren, aber auch Schriftzeilen, erfundene Buchstaben und rätselhafte Symbole tauchen auf, und damit auch Bezüge quasi-literarischer Art, nicht im Sinne einer Illustration, sondern auf der Suche nach parallelen Strukturen und einem bildlichen Dialog, der Gesagtes, Geschriebenes, Gedachtes mit Gemaltem in Beziehung bringt. Ein Beispiel dafür ist die Arbeit mit dem merkwürdigen Titel "sizi uillo stillo". Das ist althochdeutsch und stammt aus dem mittelalterlichen Bienensegen, einem der ältesten überlieferten Texte unseres Sprachraums. Die in diesen Beschwörungsformeln spürbare Magie hat die Künstlerin immer schon fasziniert. Dass der Bienensegen nun in eine Enkaustik-Arbeit eingeflossen ist, also eine Arbeit mit Bienenwachs, bietet eine zusätzliche Lesart des Bildes an und verweist ganz konkret auf sein Material, dessen Geschichte und gedankliche Aufladung.
Noch ein Wort zu den Bildtiteln. Es dürfte klar geworden sein, dass sie nicht die dargestellten Themen oder Sujets bezeichnen können, da es Themen und Gedanken außerhalb der Malerei, also außerhalb des Bildes, wie es vor uns steht, nicht gibt. Häufig verzichtet die Künstlerin konsequenterweise auf Bildtitel. Wenn dennoch einzelnen Gemälden Gedanken und Begriffe wie "Nah und fern", "Nacht und Tag" oder "Unter Wasser" zugeordnet wurden, so handelt es sich lediglich um Anregungen für den Betrachter, also für Sie, meine Damen und Herren, sich den Werken zu nähern und sich Ihren eigenen Erlebnissen mit den Bildern hinzugeben, wozu ich Sie herzlich einlade.
Übersicht