Rede zur Eröffnung der Ausstellung von Fiona Léus im "Unterhaus", Mainz, im Dezember 1997
"Blue Influence"
- Sie begeben sich heute Abend unter einen Einfluss, meine Damen und Herren, einen blauen Einfluss, und daran sind, wenn Sie sich umschauen, nicht nur die Bilder schuld. In der Tat ist der erste Eindruck beim Betreten des Saales zumindest farblich geschlossener als bei manchem anderen, was hier schon hing, aber ich behaupte, die Situation ist gleichzeitig offener. Und da wird's künstlerisch interessant, das will ich Ihnen versuchen zu zeigen.
Bevor ich aber über die Arbeiten von Fiona Léus spreche, eine Bemerkung zu einem weiteren blauen Einfluss, unter den wir uns begeben werden. Es sei an dieser Stelle nämlich den Liberalen gedankt, die uns aus blauen Flaschen mit gelben Kapseln den hoffentlich reinen Wein einschenken. Ich möchte aber - auch im Hinblick auf unseren sonnigen Bacchus, der in Gestalt des Weinbauministers in diesen Wochen auf allen Straßen uns anstrahlt, sicherheitshalber anmerken, dass weder die Malerin noch ich unter politischem Einfluss stehen, und wir diesen auch nicht auf Sie ausüben werden. Es gibt halt verschiedene Formen des Kultursponsorings. Und wenn uns dürstet, aber die Quelle im Hause versiegt ist, freuen wir uns über das labende Nass unseres Nächsten. Soviel zum Weinwunder.
Experimente
Jetzt zu der Arbeit von Fiona Léus:
Fiona Léus ist, einige werden's wissen und aus der Biografie auf der Einladungskarte ist es zu entnehmen, sie ist auch Filmemacherin. Für die Filme, die sie dreht, gibt es einen traditionellen Begriff, zwar nicht unumstritten, aber dennoch nützlich: Man spricht vom Experimentalfilm. Ich behaupte, man kann auch für ihre Malerei einen analogen Begriff verwenden, vielleicht experimentelle Malerei.
Wie geht ein Experiment vor sich?
Man arbeitet mit Beziehungen zwischen verschiedenen Elementen. Diese Elemente stehen in bestimmten Abhängigkeiten voneinander, sozusagen künstlerischen Naturgesetzen. Über diese Gesetze, diese Beziehungen haben Sie eine Hypothese, eine Annahme. Im Experiment prüft man, ob die Annahme richtig ist, oder verändert, gar verworfen werden muss. Die Frage ist: welchen Effekt erziele ich, wenn ich an der Ausgangssituation eine kleine kontrollierte Veränderung vornehme.
Konkret: Der Künstlerin steht eine Reihe von Mitteln zur Verfügung, das sind in diesem Fall ganz traditionell die Leinwand, die Ölfarbe, verschiedene Hilfsstoffe und das Werkzeug wie Pinsel oder Spatel. Alle diese Faktoren sind in vielen Variationen denkbar, und jede Variation steht wieder in einer Wechselbeziehung zu anderen Faktoren. Das Universum der Malerei ist unendlich. Es ist unmöglich, alle Gesetzmäßigkeiten aufdecken zu wollen. Ich kann nur experimentieren, also Effekte untersuchen und produzieren, wenn ich die Mittel beschränke, mich auf ein begrenztes Areal an Ausgangsmöglichkeiten zurückziehe.
Das Blau
Diese Entscheidung hat Fiona Léus einmal getroffen, für einen begrenzten Zeitraum sicherlich. Die Ausgangssituation, geradezu didaktisch platziert, und übrigens bisher nie ausgestellt, sehen Sie hinter mir: "Seven Pieces", sieben kleine Farbtafeln von 1990. Jede einzelne untersucht einen bestimmten Bereich des Farbspektrums. Ein Farbfeld, einen Ausschnitt aus der Unendlichkeit der Farbe. Die Malerin hat, nach diesem Abstecken der Möglichkeiten, sich entschlossen, die Ausschnitte nacheinander zu untersuchen. Was Sie hier sehen, ist das Malsystem 2: Blau. Die Bilder stammen aus 1994 und 1995.
Es wird heutzutage viel Blau gemalt. Blau wird allgemein als angenehme Farbe betrachtet, ist sogenannte Lieblingsfarbe von vielen Menschen, aber welches Blau eigentlich? Preußischblau, Taubenblau, Ultramarin, Blauviolett, Indigo, Himmelblau, Nachtblau, Türkis, Blaugrün, Grünblau, Bläulich...
Blau mit Gelb gemischt ergibt Grün, unpolitisch gemeint. Auf der anderen Seite wird's exotischer: Blau mit Rot gemischt ergibt Violett. Und wenn wir die Spektralfarben verlassen: Blau mit Schwarz gemischt ergibt Dunkelblau (etwa wie bei Nadelstreifenanzügen). Egal. Was ich andeuten will: Allein schon in der Beschränkung auf eine Farbe, besser einen Farbbereich, sind die Nuancen nicht mehr zählbar.
Wie läuft das Experiment im Atelier nun ab?
Fiona Léus beginnt damit, dass sie - meist direkt aus der Tube - eine weiße Leinwand mit Farbpunkten bedeckt, und zwar mit mehr als 20 fertigen Blauvariationen aus Ölfarbe. Die Anordnung der verschiedenen Varianten auf der Fläche ist Ergebnis, - sagen wir - konzentrierter Intuition.
Der zweite Schritt besteht darin, mit einem trockenen Pinsel die Farbhäufchen zu verstreichen, einem seriellen Strichmuster folgend. Was bisher noch relativ eindeutig festzuhalten war, vielleicht sogar nach einem Protokoll wiederholbar, wird in diesem Moment zum Abenteuer. Die Farben vermischen sich zum Teil, zum Teil bleiben sie nebeneinander stehen, zum Teil überdecken sie sich, neue Farbnuancen entstehen, Strukturen entstehen, und wie bei jedem Raster oder einer pointilistischen Füllung einer Fläche, beginnt man unwillkürlich und automatisch, die Einzelelemente zusammen zu sehen, sie zu Mustern oder Ordnungen zu organisieren, Höhen und Tiefen wahrzunehmen, hineinzublicken in die Fläche. Und dieser in uns ablaufende Vorgang gehört zum Experiment dazu und ist nur zum Teil von der Malerin noch beeinflussbar.
Wenn Fiona Léus mit dieser genannten Arbeit des Verstreichens und Überstreichens nicht aufhört, sondern sogar Farbschichten wieder entfernt, verwandelt sich das Bild erheblich, die Strukturen verschwinden, das Spektrum konzentriert sich auf einen kleinen Ausschnitt. Irgendwann auf dem Weg zu einer tendenziellen Vermischung aller Farben der jeweiligen Fläche hört sie dann doch auf. Die Ergebnisse sehen Sie in den beiden dreiteiligen Arbeiten am Beginn.
Reihungen
Diese Kombinationen sind Ergebnis eines weiteren Experiments, das zu Beginn der Arbeit nicht beabsichtigt war: Die Addition mehrerer Bilder zu Dreiergruppen. Es treffen hier also einerseits verschiedene Spektralbereiche aufeinander und zum anderen verschiedene Phasen des eben geschilderten Arbeitsprozesses.
Experimente werden, sollen sie aussagekräftig sein, in Reihen durchgeführt, und sie verlangen ein System, ein systematisches Vorgehen. Fiona Léus folgt einem solchen, sie nennt es einfach Malsystem 2. Und an der Schilderung des praktischen Malvorgangs haben Sie gemerkt, dass in der Tat zumindest innerhalb eines Bildes ein systematisches Arbeiten, d.h. das Befolgen eines vorgenommenen Systems stattfindet.
Alle, die Fiona Léus kennen, werden sagen: Soviel Systematik, soviel geradezu wissenschaftliche Methodik und Konsequenz in der Arbeit, das ist doch nicht Fiona, über die er spricht. Nun gut, Sie können das, was ich Experimentieren genannt habe, auch Spiel nennen. Spiele folgen Regeln und sind ungeheuer systematisch. Jetzt könnten wir auch über die Spieltheorie sprechen, die nichts anderes beschreibt als die Systematik des Zusammenhangs zwischen verschiedenen Wahlmöglichkeiten, unpolitisch gemeint.
Offenheit
Und sie habe schon am Anfang der Überlegung gemerkt, dass bei so vielen Faktoren schnell die Gesetzmäßigkeit verlassen wird, das Ergebnis nicht mehr vorhersehbar ist, nicht schematisch wiederholbar. Und hierin liegt die Offenheit des Systems. Nebenbei: experimentieren Sie selbst weiter, indem Sie auch mal am Tage herkommen, an einem so klaren Tag wie heute, zwischen 11 und 14 Uhr ist der Saal geöffnet.
Und noch etwas: Das Atelier ist nicht wissenschaftliches Labor: die Künstlerin will nichts beweisen. Und es gibt kein richtig und falsch in der Kunst im wissenschaftstheoretischen Sinn. Was es wohl gibt: Ein Gut und Schlecht. Und darüber muss man auch sprechen. Das erledigt sich nicht mit der Entscheidung der Künstlerin.
Wir müssen also wieder weg vom Begriff Experiment, können ihn auch so relativieren: Jedes Kunstwerk ist nicht nur Ergebnis eines Experiments, sondern ist weiterhin in jedem Moment seiner Betrachtung ein neues Experiment, und alle Bilder zusammen bilden das große Experiment, das Experiment Kunst. Auch bei Fiona Léus ist das Ergebnis offen.
"Blue Influence" heißt der Titel der Ausstellung. "Blauer Einfluß". Man könnte jetzt auch fragen: Unter welchem Einfluss steht Fiona Léus selbst, wenn sie ihre Bildexperimente entwirft, Formate wählt, Triptychen zusammenstellt? Ich meine jetzt nicht die blauen Flaschen, ich meine es kunst-kritisch. Aber das wäre ein neues Thema.
Für Sie hier heute Abend wichtiger ist die andere Frage: Welchen Einfluss üben die blauen Bilder auf Sie aus? Und diese Frage müssen Sie sich selbst stellen, wozu ich Sie herzlich einlade.
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