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Übersicht

Rede zur Ausstellungseröffnung „Jürgen Thal: Malerei“ im Rathaus Mainz-Bretzenheim am 8. Mai 1998

Stimmen von Marrakesch

Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Jürgen Thal gab mir, als wir uns anlässlich dieser Ausstellung kennen lernten, einen Text von Elias Canetti aus den "Stimmen von Marrakesch". Er heißt "Stille im Haus und Leere der Dächer" und beginnt so:

"Um in einer fremdartigen Stadt vertraut zu werden, braucht man einen abgeschlossenen Raum, auf den man ein gewisses Anrecht hat und in dem man allein sein kann wenn die Verwirrung der neuen und unverständlichen Stimmen zu groß wird. Dieser Raum soll still sein, niemand soll einen sehen, wenn man sich in ihn rettet, niemand, wenn man ihn wieder verlässt. Am schönsten ist es, in eine Sackgasse zu verschwinden, vor einem Tore stehen zu bleiben, zu dem man den Schlüssel in der Tasche hat, und aufzusperren, ohne dass es eine Sterbensseele hört."

Der Text ist Jürgen Thal nah, in mancher Beziehung. Zunächst ganz konkret: Jürgen Thal war - das können Sie seiner ausführlichen Biographie auf der Einladung entnehmen - in mehreren "fremdartigen Städten", hat sich auch die fremden Welten nach Hause geholt, sich mit Ethnologie beschäftigt, ist körperlich oder gedanklich durch exotische Kulturen gereist: Israel, Japan, Afrika...

Vor allem aber - und darauf geht diese Ausstellung zurück - hielt er sich von 1975 bis 1978 beruflich in Nordafrika auf, zu einem eigentümlichen Zweck: Der Biologe und Gartenbauwissenschaftler versuchte einen auch ihm bis dahin unbekannten Schmetterling zu finden, und zwar mithilfe von Pheromonen, Sexuallockstoffen, die von der Natur erfunden wurden, um Männlein und Weiblein zusammenzuführen. Für andere Arten nicht wahrnehmbar, können sie aber isoliert werden und dienen heute als Lockstoff in der biologischen Schädlingsbekämpfung, z.B. in Fallen für Motten und Apfelwickler. Samen-Kämpf kann Sie da ausführlich beraten.

Was wie eine anekdotische Abschweifung klingt, ist vielleicht doch nicht ohne Bedeutung.

Casablanca

Nun gut: Jürgen Thal lebt also in Casablanca, vor mehr als 20 Jahren, das Haus in der Rue d'Alger sehen Sie auf dem Foto am Eingang, und er hat in diesem Haus seinen "stillen Raum", in den er sich rettet.

Nun geht der Text von Canetti aber weiter: Canetti wie Thal beginnen, von diesem Rückzugspunkt aus hinauszublicken, zu beobachten. Canetti schreibt:

"Man kann aber auch auf das Dach steigen und alle flachen Dächer der Stadt auf einmal sehen. Es ist ein ebener Eindruck und alles wie in großzügigen Stufen gebaut. Man meint, man könnte oben über die ganze Stadt spazieren. Die Gassen erscheinen nicht als Hindernis, man sieht sie nicht, man vergisst, dass es Gassen gibt."

Und Jürgen Thal schaut Tag für Tag über diese Dächerlandschaft, dieses vieldimensionale Meer aus Stufen und Terrassen, und immer wieder fällt sein Blick auf ein bestimmtes Dach in einiger Entfernung, auf dem sich Frauengestalten aufhalten, merkwürdige Gestalten, fremdartig nicht nur, weil es Marokkanerinnen sind.

"Manchmal bewegen sie sich langsam und verharren in einer Pose der Unbeweglichkeit. Schützend erheben sie den Arm. Sie stehen oft viele Stunden in der gleißenden, flirrenden Hitze, ohne erschöpft zu sein", schreibt Jürgen Thal.

Es müssen - aber dies ist wohl mehr eine Vermutung als eine Beobachtung - seelisch Erkrankte sein, die dort stehen. Das Haus könnte ein Irrenhaus sein, aber zu ebener Erde, im Gewirr der Gassen, ist es kaum wiederzufinden. Ich weiß nicht, ob Jürgen Thal es jemals versucht hat. Aber warum sollte er auch, das Bild ist stark genug, steht für sich.

Jürgen Thal skizziert den Eindruck, die zwei ersten Werke dieser Ausstellung sind dort entstanden. Aber das Bild brennt sich ein - ich glaube, Sie können das nachvollziehen, auch ohne selbst dort gewesen zu sein.

Bilder vom Bild

Zwanzig Jahre später - und der Maler Jürgen Thal arbeitet noch und wieder an diesem Bild. Lang genug ist die vergangene Zeit, um jede naturalistische Wiedergabe des damals Gesehenen auszuschließen. Nur noch Erinnerung, oder besser: befreit von jeglichem anekdotisch-literarischen Zierrat bleibt das Wesentliche.

Und so sind wir hier umgeben von ganz neuen Bildern, alle in den letzten Monaten entstanden, Neufassungen des einen alten Bildes, ja es ist eigentlich nur ein Bild, das uns hier entgegentritt, auch wenn die Fülle und Dichte der hier ausgestellten einzelnen Werke womöglich den Blick auf das Einzelne verstellt.

Was ist das Wesentliche? Frauenfiguren stehen uns gegenüber, unbeweglich, frontal, puppenhaft wie Figurinen und ebenso entindividualisiert. Schablonen. Idole, kleine Naturgöttinnen, es ist die Frau an sich, der Widerpart, das Spiegelbild, das Wunschobjekt ( - Pheromone - ), wobei uns klar sein muss: es ist ein individueller Entwurf eines Menschen, eines Künstlers, weder Mann noch Frau müssen sich in dieser Situation wiedererkennen.

Material

Der Oberfläche entspricht die Arbeitsweise des Malers. Ein Teil seiner Existenz ist der Holzschnitt - über den spreche ich nicht, da ich ihn nicht kenne. Aber mit dem Holzschnitt beginnt auch die Malerei bei Jürgen Thal: Er nimmt sich alte Holztafeln, also z.B. Stücke von alten Schränken, benutztes, teilweise bereits zerstörtes Holz, und arbeitet zunächst mit dem Hohleisen hinein. D.h. er skizziert durch Ritzen und Schneiden in den Malgrund. Ein mir einzigartig erscheinendes Verfahren. Diese Vorzeichnung könnte man drucken!

Darauf erst die Ölmalerei, lange Trocknungsprozesse, ein Widerspruch zum spontanen und aus der Befindlichkeit heraus wirkenden Ansatz. Das heißt: Nach Tagen, Wochen muss vielleicht wieder abgeschliffen werden, da die erste Form nicht stimmt. Sehr tiefes In-das-Material-Hineinarbeiten. Keine Oberflächlichkeit, kein Schichtenprinzip.

Und dann der Griff zum Realmaterial. Das muss kommen, fordert sich heraus aus der Arbeit am Holz. Irgendwo zwischen Holzschnitt, Intarsienarbeit und Collage, und aus ähnlich animistischem Empfinden gespeist wie Kunst der sogenannten Naturvölker erscheint das Material selbst: Elfenbein, Gehörn, Geweih.

Nun ist Jürgen Thal Hechtsheimer, und Hechtsheim ist ebenso wenig Urwald wie Bretzenheim, sagt der Neustädter. Also woher das Elfenbein: Es sind Klaviertasten, teilweise noch erkennbar, bzw. ihre Beschichtung, womit ein Naturmaterial, Afrika entnommen und es verkörpernd, gleichzeitig die gesamte eurozentristische Musikgeschichte enthält und symbolisiert, eingebunden und gefasst von archaischen Figuren, die dem Blick eines Europäers, sogar eines Forschers, auf dem schwarzen Erdteil entspringen. Welche Dimensionen tun sich hier auf?

Es gibt Merkmale, die das Werk von Jürgen Thal in die Nähe der Art brut oder der sogenannten primitiven Kunst bringen: Die Verneinung der Zentralperspektive, die ornamentale Zeichenhaftigkeit, der Horror Vacui, der sich bis auf den Rahmen ausdehnt, die Gesichtslosigkeit der Figuren und vieles mehr. Zu ergründen, in welcher Position zwischen dem Brücke-Expressionismus, der Einsamkeit der Schmetterlingsfängers, dem exzellenten Holzschneider und dem naiven in sich gekehrten Maler sich Jürgen Thal befindet, steht noch aus.

Soweit zum Zyklus "Mediterrane Frauen", einem Titel, hinter dem sich mehr und anderes verbirgt, als das, was er nahe legt.

Öffentliche und stille Räume

Lassen Sie mich noch zwei Bemerkungen zu diesem Haus und zu Jürgen Thal machen. Es gibt in Mainz kein großes renommiertes Ausstellungsinstitut. Alle Landeshauptstädte in Deutschland besitzen Kunsthallen, Staatsgalerien und ähnliche Häuser. Was es hier aber gibt, sind mehr als 60 Orte, an denen regelmäßig Kunst der Gegenwart ausgestellt wird, in den gewerblichen Galerien - die wichtigste befindet sich ja in Bretzenheim - in Firmen, Banken, im Brückenturm, natürlich in den Museen, an alternativen Orten, in den Stadtteilen, seit Jahren eben auch hier. Viele Bäume, Pflanzen und Pflänzchen, die gegossen werden müssen, die vom Engagement der Bürger leben, und die Früchte tragen und Entdeckungen anbieten. Ich schätze diese Vielfalt, und ich unterstütze sie nach Kräften, wo ich kann.

Wer Jürgen Thal besser kennt als ich, weiß es, aber auch anderen wird im Gespräch schnell klar: Er ist ein Maler, der sich dem Kunstbetrieb versagt wie kaum ein anderer. Es geht ihm einzig und allein um die Arbeit am Bild, und das ist eine einsame Arbeit. Alles Drumherum nervt: das Ausstellen, Aufhängen, das Verschicken von Einladungen, das Verkaufen, vielleicht auch das „Über die Kunst Reden“. Diese Haltung muss nicht das Ideal allen Künstlertums sein, denn, man mag es drehen und wenden wie man will: Kunst existiert nur in dem Moment, in dem sie wahrgenommen wird. Aber ich denke, manchem, der weniger zu sagen hat im Mainzer Kunstbetrieb, würde diese Zurückhaltung des Malers Jürgen Thal gut anstehen.

Jürgen Thal ist nach wie vor eine Entdeckung. Ich wünsche mir, dass er seinen "stillen Raum" häufiger verlässt oder zumindest bisweilen öffnet.

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