Rede zur Eröffnung der Ausstellung "Heinz Mewius - Skulpturen und Grafik" in der TURM: Galerie Antoniushaus, Hochheim, am 4. Oktober 1998
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
wenn eine Galerie sich im Untertitel nennt: Galerie für Außenseiter-Kunst, heute "outsider art und art brut", dann ist das zunächst eine Aussage über die Menschen, deren Kunst hier ausgestellt wird, und nicht über ihre Kunst.
Nun ist der Mensch Heinz Mewius, dessen Kunst wir heute hier sehen, nicht anwesend - ich denke, er hat wenige seiner eigenen Ausstellungen gesehen - und ich habe ihn auch nicht kennen gelernt. Die Arbeiten, die hier ausgestellt werden, hat auch nicht der Künstler ausgesucht, sondern es wird eine Sammlung präsentiert.
Anders als sonst bin ich also auf Begleitinformationen, Informationen aus zweiter Hand, angewiesen, und anders als sonst finden sich diese Informationen nicht in Medien aus der Kunstwelt, in Katalogen und Kunstkritiken, sondern im "Stern", im "ZEITMagazin" und in Fernsehporträts.
Ein Medienstar
Das Phänomen Heinz Mewius wird uns darin vorgestellt: Ein alkoholkranker alter Mann, einfältig, einsam, verwahrlost, verstört, ein verrückter Eremit, offensichtlich ein Außenseiter, der aber dem Leben trotzt - "Man muss die Menschen trotzen", sagt er. Das "trotzdem" wird immer wieder betont, und zum "trotzdem" gehören vielleicht auch die Figuren, die er macht. "Der Hexer von Rügen" wird er genannt, weil er aus allem etwas macht, machen kann, und dieser Gabe ist er sich auch bewusst.
Es liegen mit den genannten Publikationen eindrucksvolle journalistische Porträts des Menschen Heinz Mewius vor, die von mir - der ihn nicht persönlich kennt - keineswegs ergänzt, sondern nur zitiert werden können.
So lesenswert die Artikel, so sehenswert die Fernsehdokumente sind, es sind Sozialreportagen, sie sagen kaum etwas über die künstlerischen Arbeiten dieses Menschen. Vielmehr stellen sie uns einen Exoten im Inland vor, noch dazu weit im Norden, am Rande der erst acht Jahre alten neuen Bundesrepublik, einen Menschen, der sich in eine materielle und geistige Wildnis zurückgezogen hat, und dessen Lebensform wir mit einer Mischung aus Mitleid, Bewunderung, unterschwelligem Ekel und Freiheitssehnsucht betrachten.
Heinz Mewius ist also zunächst einmal ein Medienphänomen und den meisten Menschen, die je von ihm gehört haben, nur auf dieser Oberfläche bekannt. Und - das erleben wir alle tagtäglich - Medienphänomene reproduzieren sich selbständig. Showmaster werden von anderen Showmastern in ihre Fernsehshows eingeladen, weil sie Showmaster sind. Und in der Presse über Heinz Mewius wird regelmäßig herausgestellt, dass er zu einem Medienobjekt geworden ist, das macht ihn nur noch interessanter für andere Medien.
Meine Damen und Herren, ich denke, auch ohne dass ich diese Frage der Rezeption des Künstlers und des Umgangs mit dem Menschen Mewius weiter vertiefe, merken sie, mit welchen Prozessen wir konfrontiert sind, und nicht nur konfrontiert: Wir, alle die wir hier stehen, die einen mehr, die anderen weniger, sind Teil dieses Apparats. Überprüfe jeder, mich eingeschlossen, die Motivation, welche uns zu diesem Ausstellungsereignis zusammengeführt hat.
Können wir den Künstler und uns daraus retten? Natürlich: Denn es gibt ja schließlich die Werke, die uns hier umgeben, und an denen zu überprüfen ist, ob der ganze Rummel um den Kauz Heinz Mewius auch eine künstlerische Basis hat. Ich möchte die Beantwortung dieser Frage Ihnen überlassen.
Die Welt des Heinz Mewius
Aber schauen wir uns die Arbeiten an: Die Welt des Heinz Mewius ist einfach. Sie stammt aus Bilderbuch, Bauernhof und Märchen. Hexen haben einen Besen und eine krumme Nase, Affen essen Bananen, Zebras sind von vorn bis hinten schwarzweiß gestreift wie eben ein Zebrastreifen, Katzen haben Schnurrbärte. Auf dem Blatt "Die Sonne scheint, dann kommen Wolken" ist die Landschaft grün, der Himmel blau, die Wolke ist grau, die Sonne gelb, und sie hat Strahlen. Die Figuren bestehen aus Kopf, Rumpf, zwei Beinen, auf denen sie staksig stehen, und zwei Armen, die sie starr von sich strecken, Knie und Ellenbogengelenke gibt es praktisch nicht. Es ist eine kindliche Ikonographie, die hier in Holz gebaut wird, materialisierte Kinderzeichnungen stehen vor uns.
Dass sie stehen, wenn sie stehen sollen, und dass die Arme das halten, was sie halten sollen, das bedarf gewisser konstruktiver Fertigkeiten, und in der Tat spricht Heinz Mewius immer davon, dass er die Figuren b a u t, das heißt auch, dass alle Einzelteile, wenn sie einmal mit Kettensäge, Stecheisen und Winkelschleifer in ihre Form gebracht wurden, mit Bohrer, Schrauben, Leim und Nägeln zusammenmontiert werden.
Am Schluss wird alles vollständig und säuberlich angestrichen, die typischen Augen und Münder werden aufgemalt, den Katzen werden Borsten aus Besen und Bürsten eingesetzt. Ein Mewius ist fertig.
Warum das alles?
Naive Kunst?
Als naive Künstler werden solche bezeichnet, die jenseits von akademischer Ausbildung, ja von künstlerischer Ausbildung überhaupt, und, wichtiger noch, die ohne Auseinandersetzung und geistigen Austausch mit der jeweiligen zeitgenössischen Kunst und auch ohne ein Geschichtsbewusstsein arbeiten. All dies trifft mit Sicherheit auf Mewius zu, in seiner teils erzwungenen, teils selbstgewählten, sagen wir: in der ihm zugewachsenen Isolation.
Naivität ist zunächst kein Werturteil. Hüten wir uns auch davor, sie zur letzten menschlichen Bastion in einer vermeintlich überintellektuellen, vermeintlich hermetischen und vermeintlich sogar korrupten Kunstszene zu romantisieren.
Noch ein gängiger Romantizismus: Künstlertum und Trunksucht schließen einander weder ein noch aus. Alle Spekulationen um den rauschhaften Schaffensprozess sind billig und spiegeln lediglich ein lange überholtes und laienhaftes Bild vom Künstler wieder. Der psychischen Realität kam vielleicht Peter Buchka letztes Jahr in der Süddeutschen Zeitung näher: "Der gemeine Trinker", schreibt er, "will nur vergessen, bestenfalls die Alltagsniederlagen in alkoholvernebelte Scheinsiege verwandeln. Der Künstler dagegen steigert noch, was der andere verdrängt: seine Schmerzen werden bis zur Unerträglichkeit intensiviert; soweit, bis von den Gestalten des Traums alles Menschenähnliche abfällt, bis die Fratzen zum Vorschein kommen und die Wahrheit über den Menschen sagen."
Ich weiß nicht, ob man so auch über Mewius sprechen könnte. Denn seine Kunst ist doch großenteils versöhnlich, vom Lorcher Muhkalb einmal abgesehen. Nun gut.
„Ich bin und bleib nur ich“
Dass Menschen die Kunst von Heinz Mewius mögen, weil ihnen alles andere zu kompliziert ist, oder weil sie sich bisweilen einfach ausruhen wollen, sei ihnen unbenommen. Das ist Mewius auch egal. "Was ich mach, mach ich. Ob es gut ist, weiß ich nicht. Ich bin und bleib nur ich und kein anderer", steht irgendwo von ihm geschrieben. Nichtsdestotrotz, auch das sagt er in einem Interview, möchte er noch zu Lebzeiten berühmt werden.
Das Ziel hat er, oder besser: haben andere für ihn erreicht. "Mir kennt jeder Deutsche", wird er zitiert. Der Kontakt zur Kunstwelt, zu Interessierten, Liebhabern, Sammlern, Galeristen, den Medien, dieser Kontakt wird für ihn aber von anderen hergestellt, ist ein vermittelter, kein direkter Kontakt, wird organisiert von keineswegs naiven Menschen, sondern von Profis. Da geht es Mewius nicht anders als vielen anderen Künstlern. Gott sei Dank, denn die Selbstvermarktung führt häufig zu den absonderlichsten Blüten, die kann es nicht sein.
Einer Vermittlungsarbeit ist also auch diese Ausstellung zu verdanken, und so kommen wir am Schluss wieder auf die Ausgangsfrage zurück: Heinz Mewius ein weiteres Mal als Medienphänomen.
Aber Kunst, die nicht wahrgenommen wird, denen nicht notfalls jemand zur Wahrnehmung verhilft, existiert nicht. Und das wäre schade.
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