Rede zur Eröffnung der Ausstellung Christiane Schauder in der Villa Jula Thyssen, Fa. ZENIT GmbH, Mülheim, am 25. März 1999
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
ich möchte Ihnen die Künstlerin, ihre Arbeitsweise, und einige ihrer Grundüberlegungen vorstellen, zunächst zur Person: Christiane Schauder, 1955 in Simmern/Hunsrück geboren, von Kindheit an viel gemalt, Studium in Bonn und in Mainz, später auch in Frankfurt bei Hermann Nitsch. Durchaus erfolgreich, Stipendien und Kunstpreise, Arbeiten in öffentlichen und privaten Sammlungen. Viele Reisen, darunter ein mehrwöchiger Arbeitsaufenthalt in Baku, Aserbaidschan, einjähriges Arbeitsstipendium in Soest/Westfalen, und immer wieder New York, früher teilweise mehrfach pro Jahr. Lebt in Mainz als freiberufliche Malerin, verheiratet, keine Kinder, viele Freunde.
Freiheit vom Gegenstand
Diese Malerin arbeitet offensichtlich "abstrakt", wie man sagt. Sie selbst bevorzugt allerdings den neutraleren Begriff "gegenstandsfrei". Das Bild hat den Gegenstand aufgegeben, es wird nichts abgebildet oder dargestellt. Statt dessen werden Farbe, Fläche und Struktur zum Inhalt, um den es geht. Man kann solche Bilder "autonom" nennen, da sie nur für sich selbst existieren und sie an nichts, was außerhalb von ihnen ist, gebunden sind.
Wie kann man die Bilder beschreiben? Die Farben sind mehrfach gebrochen und nicht mehr eindeutig benennbar. Sie spielen in vielen Nuancen innerhalb eines sehr engen Bereichs des Farbspektrums. Konturen, Grenzlinien und klar voneinander unterschiedene Flächen gibt es nicht. Vielmehr tritt uns das ganze Bild als geschlossene Farbwelt, man könnte auch sagen: als Farbuniversum entgegen, wobei diese ausgeglichene und in sich ruhende Qualität teilweise durch das Einbeziehen der Bildränder und eine kastenartige Kompaktheit unterstützt wird.
Das Bild ist nicht mehr Projektionsfläche einer irgendwie gestalteten Vision der Künstlerin, es wird auch nicht durch Rahmen von anderen Bildern, die uns umgeben, abgegrenzt, man sollte eigentlich gar nicht mehr vom Bild sprechen, es sind stattdessen Farbkörper, Farbobjekte, also selbst Gegenstände, die als Neuschöpfungen in unsere Gegenstandswelt hineingestellt werden. Es sollte mich nicht wundern, wenn sie irgendwann auch ihren Platz an der Wand verlassen und tatsächlich im Raum stehen, also zu plastischen Objekten werden. Überlegungen und Experimente mit der Einbeziehung von Böden, Räumen und der gesamten sichtbaren Umgebung einer Ausstellungssituation gibt es bereits.
Farbräume
Im Moment aber hängen die Werke wie gewohnt an der Wand und treten trotz ihrer räumlichen Ausdehnung noch als Gemälde auf. Um sie aber in unserer Wahrnehmung zu organisieren, reicht nicht das Nebeneinander auf der Fläche, sondern wir müssen in die Tiefe des Bildraums gehen. Was ist zu sehen, und wie ist es gemacht?
In Acryl, einer schnell trocknenden Kunststoff-Farbe, verschiedenen Mischtechniken und Enkaustik - dazu später - realisiert die Malerin ihre Bildlandschaften. In bis zu 20 und mehr Ebenen überlagern sich die Farben und Strukturen, die mit Pinsel, Schwamm und anderen Werkzeugen aufgetragen werden. Es wird gestrichen, gewischt, manchmal auch wieder abgeschliffen. Tropf- und Schüttspuren sind teilweise noch auszumachen, auch Pastellstifte werden eingesetzt. Stark in Wasser verdünnte Acrylfarben erzeugen Effekte von luftiger Durchsichtigkeit. Vor Ihnen als Betrachter entsteht also ein Farbraum, in dem das Hintereinander die topographische Dimension ist. Sie sind aufgefordert, senkrecht zum Bild in die Tiefe zu schauen, in die Tiefe des Gemäldes hinein, um seine Organisation zu erkennen.
Dies wird allerdings gleichzeitig wieder unmöglich gemacht, denn die Ebenen sind nicht mehr zu unterscheiden. Sie können kein Vorne-Hinten, Davor, Darunter ausmachen. Nirgendwo bleibt reine Farbe stehen, so wie sie einmal aufgetragen wurde. Jede Farbsetzung wird durch die davor aufgetragene Schicht, den farblichen Untergrund, verändert, wie auch durch die darüber gelegte nächste Ebene. Es entsteht so ein mehrschichtiger gebrochener Gesamtklang.
Enkaustik
Matte Durchsichtigkeit ist auch einer der Effekte, die mit einer heute selten verwendeten Technik erzeugt werden, ich meine die Enkaustik. Dazu einige Worte. Bei dieser schon in der Antike erfundenen Methode, die Christiane Schauder vor einigen Jahren für sich entdeckte und weiterentwickelte, werden Farbpigmente, also Farbpulver, in heißem, flüssigem Wachs gebunden - bei etwa 70 Grad - und aufgetragen. Beim Erkalten wird die Farbe fest. Das Ergebnis ist neben den erwähnten Lasureffekten eine pastose Struktur, also richtig spürbares Material auf der Oberfläche, die damit als zusätzliches Bildmerkmal betont wird. Enkaustik-Bilder sind übrigens in der Farbintensität sehr dauerhaft, normale Alltags-Temperaturen machen Ihnen nichts aus, nur auf plötzliche extreme Temperaturänderungen reagieren sie empfindlich. Auch der Oberfläche kann nichts passieren, wenn man sie nicht mit scharfen Gegenständen prüft oder das Bild fallen lässt.
Ich benutzte eben das Wort Landschaft, und zwar in einem bildlichen, übertragenen Sinn. Die Künstlerin will keine Landschaften darstellen, ihre Bilder sind insofern absichtslos. Die Betrachter sollten mit ihnen umgehen wie mit einem musikalischen Erlebnis - auch das Wort Klang tauchte schon auf - d.h. wie mit Kompositionen, die eine neue, eigene Welt erzeugen, eine parallele Wirklichkeit. Der Begriff Bildlandschaft bietet sich allerdings an, da mit ihm die Topographie und Geographie, ja sogar die Geologie dieser Bilder gut beschrieben werden kann.
Alphabete
Noch ein Gedanke zu einer Reihe von Arbeiten, die zu den Farbkörpern ein weiteres Element enthalten: Zeichenartige Markierungen. Man kann in der Tat von Zeichen sprechen, ihre Lesbarkeit ist allerdings eine Ausnahme. Wenn Christiane Schauder nämlich Zeichen entwirft, d.h. also graphisch, meist in schwarz strichhaft hervorgehobene Elemente, so sind diese nicht im üblichen Sinne lesbar. Sie sind keine Buchstaben, auch keine Piktogramme - wenn auch Assoziationen dieser Art nicht verboten sind -, sondern eigenständige Strukturen. Die Bilder dieser Serie heißen "Alphabetische Phänomene", d.h. es geht um Erscheinungen von Zeichen in einer Kombination, einer Serie, einer Reihung. Die Zeichen heben sich hervor aus dem Farbraum, man kann sich an ihnen festhalten, sich orientieren, sie als abgehobene Gestalt wahrnehmen und identifizieren. Daher können wir sie wie Elemente eines fremden Alphabets wahrnehmen, aber dies ist wieder nur eine Hilfskonstruktion, denn auch diese Zeichen sind - wie die Bilder als Gesamtes - autonom. Sie "meinen" nichts.
Aus Alphabeten aber kann man Worte bilden, wie aus einem Baukasten, und hier liegt ein Thema der Bilder. Die Teilung eines Bildgrundes in mehrere einzelne Flächen ist schon länger ein Experimentierfeld der Künstlerin. Die Nahtstelle zwischen den Bildteilen oder der Zwischenraum, sie sind als prägendes, auffallendes Merkmal zu bearbeiten: entweder zu übergehen, zu betonen oder in die Struktur einzubeziehen. Reihungen, Abfolgen verschieden großer Bildflächen oder auch das Zusammenstoßen verschieden strukturierter Flächen beschäftigen die Malerin seit längerer Zeit. Einige der hier gezeigten mehrteiligen Bilder sind in der Anordnung variierbar, so dass man also auch bei den reinen Farbflächen ohne Zeichen von einem Alphabet sprechen kann. Jedes einzelne Element ist selbständig, aber in der Kombination ergibt sich wieder eine neue Qualität.
Noch ein Wort zu den Bildtiteln. Es dürfte klar geworden sein, dass sie nicht die dargestellten Themen oder Sujets bezeichnen können, da es Themen und Gedanken außerhalb der Malerei, also außerhalb des Bildes, wie es vor uns steht, nicht gibt. Häufig verzichtet die Künstlerin konsequenterweise auf Bildtitel oder bezeichnet die Bilder einfach mit Farbbegriffen. Wenn dennoch einzelnen Gemälden Gedanken und Begriffe wie "Kleines Firmament", "Dreiklang" oder "Ruhig bewegt" zugeordnet wurden, so handelt es sich lediglich um Anregungen für den Betrachter, also für Sie, meine Damen und Herren, sich den Werken zu nähern und sich Ihren eigenen Erlebnissen mit den Bildern hinzugeben, wozu ich Sie herzlich einlade.
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