• Hauptseite / Home
    Hauptseite / Home
  • Suche / Search
    Suche / Search
  • Biografie / Biography
    Biografie / Biography
    • Lebenslauf / Curriculum Vitae
    • Aussstellungen / Exhibitions
    • Film
    • Kulturaustausch / Cultural exchange
    • Lehrtätigkeit / Teaching
    • Vortragstätigkeit / Lectures
    • Veröffentlichungen / Publications
    • Bücher & Buchbeiträge / Books and book contributions
    • Sonstiges / Other
    • Ehrenamtliche Tätigkeiten / Honorary activities
    • Englisch / English
  • Texte / Texts
    Texte / Texts
  • Reden / Lectures / Speeches
    Reden / Lectures / Speeches
  • Projekte / Projects / Agenda
    Projekte / Projects / Agenda
  • Kontakt / Contact
    Kontakt / Contact
  • Links
    Links
  • Impressum
    Impressum
Übersicht

Rede zur Eröffnung der Ausstellung "Bernd Schneider: Malerei - Zeichnung" in der MVB Galerie am Fischtor, Mainz, 10. Juni 1999

Meine Damen und Herren,

Sie kennen das vielleicht, Sie sollten es kennen, nein: Sie müssen das kennen, wenn wir uns hier verständigen wollen. Ich meine folgendes: Man sitzt zusammen, eine Stimmung, ein Satz des Gegenübers, der Blick eines Menschen, und blitzartig scheint die Welt durch in einer kleinen Geste, einer Konstellation, einer Nebensächlichkeit. Und Sie wissen: Was ich jetzt denke/sehe/begreife, kann nur ich, nur hier, und nur jetzt. Erkenntnis, Selbst-Bewusstsein im Wortsinn, Durchblick. Cogito ergo sum ("Ich denke, also bin ich.") im Alltag.

Momente

Und dann dieser Drang, das so eigentlich Individuelle anderen zu vermitteln, sie am Eigensinn teilhaben zu lassen. Es gelingt in der Regel nicht, auch, wenn wir es uns einbilden, und zwar unter anderem darum, weil wir uns gegenseitig zuwenig Ernst nehmen über alle Rationalfilter hinweg. Denn der Gedanke verliert schon viele seiner Dimensionen und Details, wenn er dem ungeübten - und damit meine ich: dem allseits gebildeten - Sprecher unter die groben Werkzeuge von Syntax, Grammatik und Orthographie gerät, von Semantik ganz zu schweigen. Man kann dann noch ein bisschen feilen, das eine oder andere Oxymoron einflechten, sich amüsante Metaphern einfallen lassen, und was es noch der Putz- und Poliermittel mehr gibt, um Brillanz zu erzeugen.

In der Regel reicht die Zeit dafür nicht, und das Gespräch plätschert auf mittlerem Niveau weiter, Gedankenblitze verschwimmen in der Ferne.

Als Künstler werden landläufig unter anderem Menschen angesehen, die etwas können, was wir selbst nicht können, und noch mehr: etwas, was wir annehmen auch bei größter Anstrengung nicht erlernen zu können. So kurzgriffig diese Begriffsbildung ist - ich sagte wohlgemerkt: "landläufig" und "unter anderem" - so naheliegend beschreibt sie bisweilen den ersten Eindruck nach der Konfrontation mit Werken ebendieser Künstler.

Was also kann Bernd Schneider?

Blitzgedanken

Wenn wir seine anarchistisch-absurden Aphorismen neben den Zeichnungen lesen, seinen Strichen zwischen Gekritzel und Graffiti folgen, gar Biertisch-Erkenntnissen auf den dazugehörigen Deckeln, denen - gottlob - jeder banale Ernst fehlt (oder doch nicht?), dann spüren wir: Mensch, der kann Momente festhalten und ein paar mehr Dimensionen und Universen dabei öffnen. Der gibt dem Blitzgedanken die verdiente Chance.

Weil er schnell ist. Weil er scharfsinnig und scharfsichtig ist, weil er über die Autonomie des teilnehmenden Beobachters verfügt, der sich nicht verliert in dem, was er sieht, sondern sich immer wieder zurückzieht und notiert, in Wort und Bild, und weil er der Zeichnung dabei ebenso vertraut wie dem Wortwitz.

Joseph Beuys sah Zeichnungen als "Spracherweiterung", als "Versuch, über die Unterdrückung von Sprache durch Kulturentwicklung und Rationalität hinauszukommen".

Wer will, kann bei Bernd Schneider karikaturistisches Talent anerkennen, kann sich an Reduktionstechniken des Comic und Graffiti erinnern lassen, kann, was man sieht, als Bierdeckelgekritzel abtun - oder was einem sonst an Wertbegriffen der Kulturentwicklung einfällt. Das Wesen der Zeichnung in diesem eben angedeuteten Sinn, als Befreiungsversuch, als Spracherweiterung, als Gedankenskulptur ist mit solchen Klassifizierungen nicht erfasst.

Skizzen

Kein Zweifel, dass Bernd Schneider sein Handwerk beherrscht. Davon geben die unzähligen Skizzenblöcke Auskunft, von denen Sie hier einen Teil aufgeschlagen sehen. Da mag man auch schon mal ein Porträt eines Gegenübers entdecken. Aber wichtiger als Proportion, Schattierung oder Ähnlichkeit ist allemal der damit verbundene Gedanke, so verquer und widerspenstig er sein mag.

Wer nämlich bei der Zeichnung als Fertigkeit stehen bleibt, wird höchstens akademischer Zeichenprofessor oder, wenn er geschickt ist, gutbezahlter Vedutenmaler - so etwas gibt es heute auch noch - mit austauschbaren Inhalten, die bestenfalls als wirkungsvolles Instrument zur Imagepflege in Chefetagen dienen. Vor derartigen Werken blenden zunächst die Wiedererkennbarkeit und die brillante graphische Technik, aber dann bleibt eine Leere - "der Wein ist kurz im Abgang", formuliert der Kenner. Kochs rheinhessisches Weinlexikon hat für solche Getränke noch andere schöne Ausdrücke parat.

Beim Wein, den uns Bernd Schneider auftischt, ist es gerade umgekehrt: Was zunächst wie beiläufig erscheint, als heiteres Bilderbuch, auch rein äußerlich provisorisch und ohne dicke Goldrahmen auftritt, irritiert bei näherem und längerem Hinsehen mehr und mehr, belegt die Zunge mit Beschlag, kitzelt hier, provoziert dort eine kleine Bitterkeit, wandert zwischen Milde und Säure hin und her, besitzt mit anderen Worten Komplexität, ist sperrig und vielschichtig, stellt ernsthafte Aufgaben an sich selbst und an uns und verführt nicht zum leicht beschwingten Genießen, sondern zum genussvollen Erarbeiten.

Einfälle

Dafür bieten die Tuchbilder reichlich Material. Sie basieren, wie man schnell erkennt, alle auf dem in den täglichen und nächtlichen Skizzen gefundenen und erfundenen Figurenrepertoire. Dieses bevölkert die großen Arbeiten meistens in mehrfacher Staffelung.

Da dominiert zunächst in der Regel eine plakative, teils monumentale Hauptgestalt. Sie wird auch im Arbeitsprozess als erste entworfen. Dass dabei das Leintuch - Stücke aus Bettüchern oder Theaterleinen - einfach auf dem Tisch liegt, ist - so Bernd Schneider - eher eine pragmatische als eine prinzipielle Entscheidung. Die schnell und opak auftrocknende Acrylfarbe präsentiert uns eine bunte Familie von Doppelwesen: die Vögel mit Hosenbeinen, Männer mit Rückenflossen, allerlei Fischwesen, dazwischen Hunde und anderes Getier.

Reihen von kleineren Zeichenwesen füllen dann die verbliebenen Flächen aus, serielle Variationen fast ornamentaler Figurenelemente: Männer mit Hut, tanzend oder im Dialog, Hunde in diversen Posen, mit und ohne fletschendes Gebiss, wieder Vögel und Fische. Was schließlich an Fläche im Fond übrigbleibt - ein "horror vacui" scheint den Künstler zu treiben - wird mit der Gänsefeder vollgekritzelt, und hier ist wieder Platz für die Momenterkenntnisse, kleinen Ideenskizzen und das "Restbewusstsein". Die Zeichen werden zu Scribbeln, fragmentarischen Texten, auch nicht mehr identifizierbaren Formen, Mustern, bleiben irgendwann Zeichen ohne Botschaft.

Wenn man diesen kleinsten Zutaten nachspürt, hat man sich dem Bild schon sehr genähert. Dazu verleitet seine keineswegs risikolose Zusammensetzung aus Elementen extrem unterschiedlicher Ausdehnung. Aber Bernd Schneider ist erfahren, selbstkritisch und virtuos genug, um zu schaffen, dass zwischen spontanem Einfall und kalkulierter Bildplanung weder Komposition noch Ideenreichtum verloren gehen, dass die surreale Überraschung und die Dominanz des Zeichenkanons sich die Waage halten, dass das Große das Kleine nicht erschlägt, das Kleine das Große aber auch nicht überwuchert.

So kann man jedes größere Tuchbild von Bernd Schneider als Geschichte erleben und in ihm lesen, wenn man will, wobei gerade die Reihen von Fabelwesen, die einer Spezies zu entstammen scheinen und wie auf einem Kontaktabzug oder einem Filmstreifen balletthaft ihre staksige Beweglichkeit erproben, den Gemälden einen Atemzug des Lebendigen verleihen.

Eigensinn

Wenn ich "lesen" sage und die Narrativität der Bilder von Bernd Schneider betone, meine ich weniger ein konventionelles literarisches Lesen, welches an die Linearität, das erzwungene Nacheinander gebunden ist, trotz aller automatistischer und collagistischer Schreibtechniken, die in diesem Jahrhundert entwickelt wurden. Die Geschichten von Schneider nutzen das Phänomen der Gleichzeitigkeit auf dem Spielfeld des Bildgrunds. Zwar durch Größenverhältnisse, Farbdominanz und Unterschiede der Konturschärfe zwischen den Protagonisten eines Bildgeschehens gelenkt, folgt doch jeder Betrachter seinem eigenen Blick, springt in kaum vorhersehbarer Geographie zwischen den Orten dieser Bildwelt hin und her und schafft sich sein eigenes synchrones Geflecht von Bezügen, das eine Geschichte wird, ohne erzählt werden zu können.

Auch dadurch, wenn nicht schon durch den eigensinnigen Blick Bernd Schneiders auf Zeichen und Worte, erhält die Beziehung zwischen Text und Bild in seinen Arbeiten eine ungewohnte Qualität: Nie ist das Bild Illustration des Textes, nie erklärt der Text das Bild. Was ist denn das für ein "Wintergarten", in dem zwei rote Teufel irgendetwas zwischen Rap und Revue aufführen, währenddessen hosenbeinige Gläser und Pokale die Chorusline formieren.

Nun, um zu sehen, dass die Menschen bisweilen als umgestülpte Weingläser auf zwei Beinen herumlaufen, dafür braucht man nicht Hieronymus Bosch zu kennen, man muss sich nur in Mainz umschauen.

Aber Achtpasse! Es schadet dem Meenzer nicht, wenn er ihn kennt, den Hieronymus Bosch, im Gegenteil, es wird ihm bei der Bewältigung der Realität helfen.

Die ganze Wirklichkeit

Und: Es schadet dem gelehrten Kunsthistoriker nicht, sich auf die Vergnüglichkeit des Menschenlebens einzulassen, dies wird ihm bei der Bewältigung von Hieronymus Bosch behilflich sein - und bei der Bewältigung von Dada, Art Brut und Jean Dubuffet, Horst Janssen, Keith Haring, der Neuen Frankfurter Schule und manchen anderen, an die man denken mag. Es geht also noch einmal um Bezüge zur Realität, geprägt und gefiltert durch die Kunst, aber ebenso umgekehrt.

Meine Damen und Herren, es ist für diese Räume eine zugegeben ungewöhnliche Ausstellung. Es passiert auch nicht alle Tage, dass ich hier sprechen darf. Dafür bedanke ich mich herzlich und möchte bei dieser Gelegenheit betonen, dass die Arbeit des Kunstvereins Eisenturm gerade in diesen Räumen der MVB-Galerie dem Kunstleben der Stadt Mainz in den letzten Jahren Einblicke verschafft hat, für die in anderen Ausstellungshäusern kein oder nur wenig Platz ist.

Die Präsenz der Vielfalt künstlerischer Formen in einer Stadt hat mehrere Voraussetzungen: zum einen die sachkundige und offene Zusammenarbeit der engagierten Institutionen und Personen, und zwar jenseits aller privaten, institutionellen, wirtschaftlichen oder öffentlichen Trägerschaft.

Eine andere Voraussetzung - und das ist die letzte Beschwörung des Realitätsbezugs für heute Abend - ist die Präsenz starker Kulturpolitiker. Es gibt sie - in regionaler Solidarität - in fast allen Parteien. Jeder einzelne von ihnen braucht am Sonntag ihre drei Kreuze. Also nehmen Sie sich die Zeit. Und denken Sie dann noch einmal an Bernd Schneider und sein Bild "Die ganze Wirklichkeit in nur zwei Minuten".

Übersicht
  • Hauptseite/Home
    Hauptseite/Home
  • Suche/Search
    Suche/Search
  • Biografie/Biography
    Biografie/Biography
  • Texte/Texts
    Texte/Texts
  • Reden/Lectures/Speeches
    Reden/Lectures/Speeches
  • Projekte/Projects/Agenda
    Projekte/Projects/Agenda
  • Kontakt/Contact
    Kontakt/Contact
  • Links
    Links
  • Impressum
    Impressum