Rede zur Eröffnung der Installation „In der Schwebe“ von Michael Wolff in der Christuskirche Mainz, am 29. April 2005
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
ein Künstler in einem Gotteshaus, eine künstlerische Installation nicht nur in Nebenräumen, sondern ganz zentral über dem Altar und in der Kuppel. Michael Wolff hat sich nicht etwa einen passenden Rahmen für eine bereits fertige, unabhängig entstandene Arbeit ausgesucht – in einer schönen Architektur, die, wie Sie täglich sehen, immer schöner wird. Nein, die Kirche ist auch sein Thema, die Kirche und viele Fragen an sie, mit denen er sich schon lange auseinandersetzt, wenn auch seine Arbeit kaum, auch diese nicht, als religiöse Kunst bezeichnet werden könnte. Eine der Konstanten in seinem Werk formuliert er selbst: „Das was wir wahrnehmen, ist oftmals nicht das, was wir wahrzunehmen glauben.“ Und: „Der Wechsel vom Wahren zum Trügerischen bleibt uns oft verborgen.“
Was wir sehen
Diese Sätze klingen nun tatsächlich existenziell. Sie berühren Grundfragen der Wahrnehmung und des In-der-Welt-Seins, und sie gehen weit über rein künstlerisch-technische Statements hinaus. Die Arbeit „In der Schwebe“ hat, das bemerken Sie sofort, bei aller Einfachheit der technischen Mittel jene transzendentale, über sich selbst hinausweisende Dimension, die uns fasziniert und den Blick fesselt. Aber eben nicht nur den Blick provoziert, sondern uns auch magisch berührt und Gedankengebäude aufscheinen lässt, denen wir nachhängen möchten.
Das Material ist einfach: Zwei große Metallringe, durch zahlreiche weiße Bänder verbunden, formen einen über 20 Meter hohen Zylinder, der in die Kirchenkuppel hinaufgezogen wurde und nun wie eine Säule über dem Altar von Erwin Heerich schwebt. Von unten und von oben wird das Gebilde von UV-Licht-Röhren, sogenanntem Schwarzlicht, angestrahlt, welches das Weiß unwirklich fluoreszieren lässt. Die Röhren über dem oberen Reifen, fern über uns in der hohen Kuppel, bilden ein bläulich strahlendes Kreuz. Da es um Licht geht, ist die Wirkung umso deutlicher, je dunkler der umgebende Raum ist. Nächtliche Meditationen bieten sich an.
Und Licht soll mein erstes Stichwort sein bei dem Versuch, das Werk zu verstehen. Ich befrage das Neue Testament.
Die Quellen
„Ich bin das Licht der Welt“ sagt Jesus im Johannesevangelium zu den Pharisäern, „Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ (Joh 8, 12) Und er sagt dies im Tempel an der Stelle, wo während des Laubhüttenfests zwei goldene Riesenleuchter angezündet wurden, deren Lichtschein sich über ganz Jerusalem verbreitete, um an die Feuersäule oder Lichtwolke zu erinnern, die während der Wanderung durch die Wüste vor Israel herzog.
In seinem ersten Brief verkündigt Johannes (vermutlich ein anderer Johannes), dass Gott Licht ist und „in ihm keine Finsternis“. „So wir aber im Licht wandeln, wie er im Licht ist, so haben wir Gemeinschaft untereinander, und das Blut seines Sohnes, Jesu Christi, macht uns rein von aller Sünde.“ (1.Joh 1, 5-7)
In der Bergpredigt sagt Jesus aber auch „Ihr seid das Licht der Welt. ... Lasset Euer Licht leuchten vor den Leuten, dass sie Eure guten Werke sehen und Euren Vater im Himmel preisen.“ (Mt 5, 14-16)
Paulus spricht im Römerbrief von den „Waffen des Lichts“, die wir anlegen sollen, um den Werken der Finsternis zu begegnen und mit denen er das Gebet und das Wort Gottes meint (Röm 13, 12). Die Gläubigen nennt er im Epheserbrief „Kinder des Lichts“. „Denn Ihr waret weiland Finsternis; nun aber seid Ihr ein Licht in dem Herrn.“ (Eph 5, 9)
Und schließlich lässt Lukas Jesus sagen „Das Auge ist des Leibes Licht. ... Wenn nun Dein Leib ganz licht ist, dass er kein Stück von Finsternis hat, so wird er ganz licht sein, wie wenn ein Licht mit hellem Blitz Dich erleuchtet.“ (Luk 11, 34-36) Bei Matthäus finden wir ähnliche Worte. Und in der Offenbarung wird die Vision einer erleuchteten Stadt - Stadt steht für die gesamte Christengemeinde - aufgezeigt, die „nicht der Sonne noch des Mondes bedarf“ (Apk 21, 23).
Licht als Metapher
Es geht in all diesen Sätzen immer um den Kampf zwischen den beiden Mächten Licht und Finsternis. Der Kampfplatz sind Welt und Mensch. Die Zugehörigkeit des Menschen zu einem dieser beiden Pole ist aber nicht vorherbestimmt, der Mensch ist auch nicht willenloser Spielball in diesem Magnetfeld, sondern er ist zu einer bewussten Entscheidung aufgerufen.
Diese Entscheidung besteht aber beileibe nicht nur aus dem Glauben an Gott als Weltenschöpfer, sozusagen als Erklärungsmodell des Unerklärlichen, sondern sie bezieht sich auf den ganzen Kodex des ethisch-moralischen Handelns, wie er in den Schriften des NT gefordert wird. All jene Lichtmetaphern, die ich zitiert habe, stehen nämlich im Kontext zahlreicher Ermahnungen, deren Verlesung ich Ihnen erspart habe. Das ist hier nicht meine Aufgabe, und ich könnte es auch nicht tun, ohne rot zu werden.
Wichtig aber ist: Licht ist in diesen Sätzen immer ein Symbol für den Weg aus der Trostlosigkeit, Friedlosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Not, Angst, Todesdunkel, aber auch aus der Unwissenheit und Unreinheit. Eine Verheißung ist damit verbunden. Gesagt wird: Seht, es wird Euch besser gehen, wenn Ihr glaubt. Wer den Glauben hat, der hat das Licht, der ist erleuchtet. Es geht also um ein inneres Licht. „Es braucht kein künstliches Feuerwerk“, heißt es in einem Kommentar.
Eine Frage kam mir dabei in den Sinn: Wer von uns in dieser hellerleuchteten Welt kennt eigentlich noch die Finsternis? Sagen nicht viele „Ich brauche kein Licht, mir ist hell genug“?
Die Fortsetzung dieser Gedanken überlasse ich Pfarrer Warneck und seinen Kollegen, und ich nehme an, Michael Wolffs Werk wird dazu in den nächsten Wochen Provokation genug sein, vielleicht sogar einmal am Abend, wenn das Licht sich noch dramatischer von der Finsternis abhebt, sein Eigenleben beginnt und sich der Greifbarkeit zunehmend entzieht.
Ikonographie des Lichts
Inneres Licht, aber äußere Bilder, Symbole für höchst komplexe Systeme. So wie die Bibel sich der Metapher bedient, haben Künstler immer schon versucht, die Lichtmetaphern noch konkreter zu fassen, das geistliche Licht zu malen oder anders zu visualisieren. Die gesamte christliche Ikonographie vom Mittelalter an ist voller Gloriolen, Lichtstrahlen als Symbolen für den Heiligen Geist, oder z. B. für Mariae Verkündigung. Licht ist dabei immer die Übertragungssubstanz von geistigen Botschaften, ganz strukturell gesehen.
Darüber hinaus ist Licht in allen Kulturkreisen von hoher symbolischer Bedeutung, da es zu den existenziellen menschlichen Grunderfahrungen gehört, den Tageslauf bestimmt und das Sehen ermöglicht. Aber mehr noch: Es scheint eine universelle Sehnsucht nach Transzendenz zu geben, nach Loslösung von der Erdenschwere, nach Erlösung, Auflösung, Überwindung der sterblichen Materie. Licht spielt als Vergegenwärtigung solcher Tendenzen immer eine besondere Rolle. Der Körper-Seele-Dualismus findet sich hier, der ebenfalls universell ist und sich im Christentum deutlichst niedergeschlagen hat. Das ist ein weites Feld.
Kehren wir noch einmal zurück zur Lichtsäule von Michael Wolff und betrachten wir ihre Doppelnatur – sozusagen entsprechend der Doppelnatur von Licht als Welle und Teilchen, über die in diesen Tagen wieder viel gesprochen wird – ich meine als immateriellen Lichtkörper einerseits und als materielle, tragende Säule andererseits. Sie ist, da Kunstwerk, natürlich beides nicht wirklich, sondern sie evoziert eben diese geistigen Bilder.
Zwischen Himmel und Erde
„In der Schwebe“ zwischen Kuppel und Altar, zwischen Himmel und Erde, Gott und Mensch, geistigem Firmament und weltlichem Boden erscheint sie uns. Das wirft Fragen nach der Statik auf. Wie ist denn die Verbindung zwischen Himmel und Erde?
Der Prophet Jesaja lässt Gott sagen und Jesus nimmt in der Bergpredigt darauf Bezug: „Der Himmel ist mein Stuhl und die Erde meine Fußbank.“ (Jes 66, 1; Mt 5, 34-35). Es wird daraus verschiedenes abgeleitet, unter anderem die Unmöglichkeit, Gott ein Haus zu bauen. Auch das ein spannender Gedanke, der wiederum ins Überweltliche verweist. Das Wichtige daran ist: Gott wohnt nicht im Himmel, ebenso wenig wie er in einem irdischen Gotteshaus wohnt. Er ist sowohl das eine wie das andere als auch die Verbindung zwischen beiden Sphären und noch alles darüber hinaus.
Noch eine andere Deutung ist denkbar, und diese entspricht dem Künstler Michael Wolff vielleicht eher. Die Säule als Bindeglied zwischen Altar und Gott steht für die tragende Funktion des Glaubens. Radikal formuliert: Der Mensch trägt Gott, und wo kein Glauben ist, da ist kein Gott. Glaube würde somit zum anthropologischen Phänomen. Er wäre Produkt des Menschen, und so wäre auch das Göttliche Produkt des Menschen.
Auch hier würde ich gern mit Ihnen zusammen weiterdenken, aber auch hier endet meine Kompetenz. Noch ein Nebengedanke: Gibt es übrigens wirklich eine Kompetenz in Glaubensfragen und wie begründet sie sich? Auch darüber denken in diesen Tagen viele Menschen nach.
Vielleicht geht Ihnen das alles zu weit, vielleicht gehe ich Ihnen zu weit, vielleicht aber auch gar nicht weit genug. Es waren dieses Mal wirklich nur ganz persönliche Gedanken zu einem besonderen Kunstwerk an einem besonderen Platz. Und wo sollen wir uns diese Fragen stellen, wenn nicht hier?
Vielen Dank.
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