Rede zur Eröffnung der Ausstellung „Thomas Brenner – Inszenierte Fotografie“
In der Metallgalerie (IG Metall), Frankfurt am Main, am 10. Oktober 2005
www.Thomas-Brenner-Photographie.de
„Premiere“
Eine Wort wie „Premiere“ verstehen wir heute durchaus mehrdeutig, denken dabei an alte und neue Medien gleichzeitig, an Theater aber seit Jahren auch ans Fernsehen. Zunächst zur klassischen Begriffswelt.
Bei „Premiere“ fällt einem Uraufführung ein, etwas Festliches, Exklusives, etwas, bei dem man gern und ein wenig hochnäsig, weil geladen, dabei ist, auch weil – und das klingt ebenso mit – man damit zu den Ersten gehört, die diesem Kulturereignis beiwohnen dürfen.
Was sehen wir? Ein Blick auf Kulissen, auf kostümierte Menschen, auf Requisiten. Mit Bühneninszenierungen hat man – zu Recht – des Photographen tableaux vivants („lebende Bildern“) häufig verglichen, auch mit Filmstills, Standfotos. Und in beiden Fällen hat der Betrachter eine angehaltene Situation vor sich, ein bisschen wie beim Dornröschenschlaf, und man phantasiert sich zusammen, was wohl vor dem Bild passiert ist und wie es weitergeht in der märchenhaften Szene.
Und bei Film und Theater bleiben wir in der Regel draußen, schauen aus dem Zuschauerraum in die inszenierten Welten. Bei dieser Premiere jedoch sind wir als Besucher selbst im Bild präsent. Was wir gerade tun, hier und jetzt, ist auch Thema der Fotografie, die wir vor uns haben.
Nun werden Sie sich nicht wiedererkennen in dieser Vernissagenversammlung, z. B. stimmt die Kleiderordnung nicht. Statt Krawatten und dunklem Anzug eine Uniformität in weißer Wäsche, einschließlich der “unaussprechlichen” langen Unterhosen. Aber diese Spiegelgesellschaft weiß ihre Kleiderordnung mit Accessoires zu ergänzen: Bunte Schals, gar Federboas, Hüte, Stirnbänder, Brillen, Schuhe zeugen von extravaganter Individualität, die von des Kaisers neuen Kleidern ablenkt.
Leicht exaltierte Posen begleiten das interessierte Betrachten. Betrachten wovon? An mit Rigips verkleideten und bereits verspachtelten Wänden eines exquisiten, altertümlichen und gerade in Renovierung befindlichen Museumssaales hängen große, vergoldete, wertvolle und wertstiftende Bilderrahmen, die nichts präsentieren als die Leere bzw. einen Ausschnitt aus eben jenen Rigipswänden – die übrigens für einen aufmerksamen Ästheten, und so einer ist Thomas Brenner, interessant genug scheinen.
Da stehen wir also, in Betrachtung und Gespräch vertieft, vor den leeren Bildern an der Wand. Theater, Museum, Galerie, Fernsehen: alles gleich leer, bedeutungslos und eitel? Ein modernes Vanitas-Bild, eine Allegorie der Vergänglichkeit, ist „Premiere“ bestimmt, auch mit dem klassischen „erkenne dich selbst“.
Aber der absolute Zynismus würde beim Künstler nur zur Selbstverleugnung führen, und dafür macht Thomas Brenner zu schöne Bilder. Auf unser Ankerbild komme ich gleich noch einmal zurück, es fehlt ja noch ein ins Auge springendes Element.
„Maginot“
Zunächst zu einer weiteren Bildserie: Eines von Thomas Brenners Hauptwerken der letzten Jahre, von dem hier Ausschnitte zu sehen sind, bezieht sich auf ein historisches Relikt: Die Maginotlinie zwischen Frankreich und Deutschland, ein gigantisches Bauwerk aus der Zeit um 1930, bestehend aus Bunkeranlagen, unterirdischen Verbindungsgängen und Panzersperren, geplant als Festungsgürtel und Bollwerk gegen das Deutsche Reich, vergebens, wie man weiß. Betonbunker sind neben Atomkraftwerken so ziemlich das Dauerhafteste, was die menschliche Baukunst hervorgebracht hat. Und so stehen noch heute zahllose Exemplare dieser Urzeitungetüme in einer inzwischen idyllisch verwachsenen Landschaft zwischen dem Atlantik und der Mittelmeerküste, teils für den Geschichtstourismus zugänglich und häufig von französischen Veteranenvereinen gepflegt.
Auf diese geschichtsträchtige Installation, irreal genug, reagiert Thomas Brenner in einem mehrjährigen Projekt mit eigenwilligen Fantasiebildern. Aus der verwitternden und überwucherten Monumentalität der Kriegsbauten macht er Theaterkulissen für einen modernen Totentanz.
In der Abenddämmerung, zusätzlich dramatisch beleuchtet, häufig auch durch Fackeln und diverse Feuerspiele, bewegen sich gespensterhaft Menschen in extremen Kostümen und expressiven Posen, bandagiert, gefedert oder in auffälligen Farben angemalt und mit bizarren Requisiten ausgestattet.
Durch Überzeichnung der Dramatik und paradoxe Kombinationen aus den entlegensten Kulturfragmenten entstehen dabei befremdliche Momente, etwa wenn nackte Menschen, beschwert mit Panzern aus ausgedienten Badewannen wie Käfer auf den Bunkern herumkriechen oder, in Leichentücher gewandet, sich wie Zombies aus ihren Gräbern winden. Auf einem anderen Bild füllen aufgestellte Porträtfotos des Kriegsministers André Maginot die Szenerie wie zu Wahlkampfzeiten.
Thomas Brenner stellt uns hier eine eingefrorene vielfigurige Choreografie vor, die die Menschen zum Ornament arrangiert und ganz der Bildidee unterordnet. Ich habe dem Künstler schon einmal eine postmoderne Selbstverständlichkeit im Umgang mit tradierten Ikonographien bescheinigt, die aber nicht von Unbekümmertheit geprägt ist, sondern im Gegenteil von ganz gezielter und bewusster Nutzung und Paraphrasierung von Bildformen und Bildgedanken, und teilweise so hintersinnig, dass sie auf Anhieb vielleicht gar nicht wiedererkennbar sind.
Ein Blick zurück auf unser erstes Bild, die „Premiere“ muss jetzt eine weitere prominente Figur ins Auge fassen: Ein Riesenaffe, der auf einem Hochhaus sitzt und mit Flugzeugen spielt. Damals, bei King Kong, war es das Empire State Building. Die hier in der Fotografie angedeuteten Hochhäuser brauche ich Ihnen nicht zu deuten. Und plötzlich wird das Spiel todernst, und die „Premiere“ erhält eine weitere zynische Bedeutung.
Krieg war bereits präsent in den Ruinen der Maginotlinie, aber weit weg. Und in Anbetracht der deutsch-französischen Freundschaft wirklich weit weg.
Toastbrotscheiben auf der Fassade der Twin Towers – auch hier plötzlich Assoziationen befremdlicher Art.
„Brot und Spiele“
– ein Herrschaftsmotto römischer Kaiser, wobei mit den „Spielen“ die grausamsten Gladiatorenkämpfe vor einem Massenpublikum gemeint waren.
Mit Nahrungsmitteln zu spielen, d. h. etwas anderes zu tun als sie ehrfürchtig und dankbar zu verspeisen, ist immer noch ein Tabu, das uns seit der Kindheit ausgetrieben werden sollte. Welch ein Skandal war es, als der internationale Happening-Künstler Wolf Vostell in den 60er Jahren den Ausdruck „Meterbrot“, der da und dort damals für Baguettes üblich war, wörtlich nahm und den Umfang des Kölner Doms mit entsprechenden Broten umlegte und somit vermaß.
Bei Brenner werden Baguettes zu Kreuzen, Grenzbalken, Jägerzäunen, Holzscheiten, Käfigstäben und Schwertern, treten in für sie fremde Zusammenhänge, die uns aber merkwürdig vertraut aus Kultur und Alltag sind.
Das Festmahl findet unter dem überdimensionalen Tisch statt Der Jägerzaun aus Brot beschützt ein Stück kleinbürgerlichen Kunstrasen, umgeben von mit Feldstechern ausgerüsteten Wachtposten. Die nächtlich Szenerie des Supermarkt-Parkplatzes mit den Einkaufswagen ist wie im Traum verfremdet. Und in der Kulisse einer Barockkirche findet ein Geschlechterkampf statt, der die Brocken fliegen lässt. Zu symbolischen und immer gesellschaftskritischen Deutungen wird reichlich Material geliefert. Gerade das Brot, „unser täglich Brot“ als weltweit nicht nur wichtigstes, sondern als das mit Bedeutungen überladene Nahrungsmittel überhaupt, ist dazu die perfekte Provokation, bei Brenner und schon vielen anderen Künstlern der Moderne vor ihm.
„Consommation-de-la-nature“
Und was heißt hier eigentlich „mit dem Essen spielen“? Die Serie „Consommation-de-la-nature“ – also „Verbrauch oder Verzehr der Natur“ führt uns vor, was die industrielle Produktion aus den natürlichen Rohstoffen macht, allein im Nahrungsmittelbereich. „Rohstoff“ – allein dieser Ausdruck ist schon bezeichnend für das Zivilisationsbewusstsein, denn ist nicht schon ein Baum, eine Pflanze, ein Tier ein fertiges Produkt? Was Brenner uns zeigt, und was für ihn visuell spannend ist, ist die „Evolution“ der ursprünglichen Dinge hin zu Produkten, die bis zur Unkenntlichkeit weit entfernt von ihrer Herkunft sind, von ihrer Ausgangsform, sozusagen ein gesellschaftlich-technisch sanktioniertes Spiel mit unserer Nahrung, dessen Ergebnisse wir tagtäglich zu uns nehmen.
Nun wäre es naiv und heuchlerisch, aus diesen Demonstrationen von Gegensatzbildern eine allgemeine Zivilisationskritik nach dem Motto: „Zurück zur Natur“ abzuleiten. Thomas Brenner könnte mit dieser Haltung seinen auf Hochtechnologie basierenden Beruf nicht ausüben, und – gestatten Sie mir die Bemerkung – ohne industrielle Revolution gäbe es dieses Haus hier auch nicht. An dieser Stelle noch ein Hinweis zur Technik: Alle Bilder sind wirkliche Fotografien und nicht etwa am Computer komponiert und konstruiert.
Eine Aufgabe des Künstlers ist immer noch das Provozieren von Erkenntnissen, die Kritik, das feinsinnige Beobachten und zugespitzte Aufzeigen des Beobachteten, auch und gerade mit den Mitteln der surrealen Verfremdung, der Kombination von scheinbar Unvereinbarem, und damit des Spiels, jenseits aller Verspieltheit.
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