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Rede zur Uraufführung des Films „Traumhafte Zeiten – Erzählung einer Stadt – Mannheim 1607 – 2007“ von Michael Kötz
In der Kunsthalle, Mannheim, am 03. Juni 2007
Sehr geehrter Herr Dr. Kurz, lieber Michael, meine sehr verehrten Damen und Herren,
heute ist alles anders: das Opfer meiner Moderation ist einer, den Sie sonst als jemanden kennen, der selbst Menschen, Filmemacher, auf die Bühne bittet und der Situation aussetzt, in der er selbst jetzt gerade ist. In diesem Moment nämlich erlebt er die Rolle des Künstlers bei der Premiere, mit allem was dazu gehört, Lampenfieber, plötzlicher Unsicherheit, ob alles richtig war, Spekulationen über das Publikum, wer wohl da sein wird, und vor allem: wer ihn verstehen wird, ob ihn überhaupt einer verstehen wird, ob man den Film überhaupt jemandem zumuten kann, wer ihn lieben und wer ihn verreißen wird, und 1000 quälende Fragen mehr.
Ich weiß das, denn wir sind Freunde und haben lange über diesen Abend gesprochen.
Es ist ja nicht der erste Film von Michael Kötz, und Publikum ist er gewöhnt, je mehr desto besser. Wem sage ich das? Aber seine Filme aus früherer Zeit hatten ihre Premiere im Kulturprogramm des Fernsehens, und da sitzt – auch wenn einem die Sender das vermitteln wollen – niemand in der ersten Reihe. Die Anrufe kommen dann am nächsten Tag, wenn überhaupt.
Nun denken Sie vielleicht – und ich sehe Ihnen das an – was soll denn daran so besonders und aufregend sein? Ein Film zum Stadtjubiläum, da werden Stiche, Gemälde, Fotos, historische Filmaufnahmen und was sonst noch verfügbar ist, gesammelt, in eine chronologische Ordnung gebracht und wissenschaftlich abgesichert kommentiert. Ebenso faktenreich wie langweilig, ebenso offiziös wie verstaubt.
Nun kennen Sie Michael Kötz nicht, wenn Sie eine Dokumentation dieser Art erwarten. Vielleicht aber sind Sie auch schon misstrauisch: Immerhin heißt der Film „Traumhafte Zeiten“, und im Untertitel „Erzählung...“ So ganz trocken und sachlich wird es offenbar nicht zugehen.
Sie merken schon: Ich will Sie etwas neugierig machen und auf die Folter spannen (welch grausame Sprache, aber eben Geschichte!). Was nämlich auch noch anders ist – zumindest im Vergleich mit unseren Festivals – wir reden hier jetzt mal vor dem Film, ohne dass Sie ihn gesehen haben. Und deshalb werde ich den Teufel tun und Ihnen etwas verraten über das, was gleich kommt. Nein, nur ein paar Gedanken, Fragen, Ideen zum Thema Geschichte, Zeit und unseren Bildern davon, z. B. Filmen.
Gleich zu Beginn wird sie gestellt, die Frage aller Fragen, auf die man schnell kommt, wenn man so ein Filmthema ernst nimmt: Was ist die Zeit? Und – Menschen im besten Alter, so wie Michael und ich – haben eigentlich häufig darüber gesprochen, ohne dass wir es wussten. Immer mehr Veränderungen und immer schnellere, ganz persönliche aber auch wie man sagt „gesellschaftlich relevante“ beschäftigen uns. Und wenn es nicht beim „weißt Du noch“ und „früher war alles anders“ bleibt – da muss man höllisch aufpassen - , kommt man vielleicht zu einem vagen Gefühl dieser Dimension, die ebenso unbegreiflich wie knallhart präsent ist. Sie werden im Film manchmal selbst danach gefragt werden. Und Sie werden mit diesen Fragen nach Hause gehen, das verspreche ich Ihnen.
Und dann kommt diese ordnende Rückschau, dieses Sich-Selbst-Versichern über Ort und Zeit meiner Existenz. Wir verstehen Geschichte doch so, dass sie schnurstracks und zielgerichtet auf genau das hinausläuft, was wir selbst sind. Mannheim konnte nur so werden, wie es heute ist, weil die Geschichte geradezu logisch und manchmal in tragischer Unabwendbarkeit genau so ablief.
Das ist ein Konstrukt. Psychologisch gesehen: Eine Rationalisierung und das menschliche Urbedürfnis nach kognitiver Konsonanz: auf deutsch: alles passt zusammen. Es konnte ja gar nicht anders kommen. Ich bin so wie ich bin und lebe genau in dieser meiner gegenwärtigen Situation, weil alles vor mir genau so war wie es war. Alles logisch, oder?
Der Kötz kratzt das ein bisschen an, aber nicht, indem er historische Fakten anzweifelt, sondern indem er sie so darstellt, als ob sie verletzlich und gar nicht so zuverlässig sind wie in den Geschichtsbüchern.
Sein Trick: Er macht’s persönlich (so wie er eigentlich alles persönlich macht. Eine Kollegin, die den Film gesehen hat, sagte: „Der Film ist wie Du“, und sie hat recht). Und er führt das ICH in die Geschichte ein. Und damit automatisch auch das DU. Da sind Leute, die sich zu verständigen versuchen, die miteinander reden. Über das, was sie erleben in 400 Jahren. Und das ist verdammt schwierig. „Wer mitten drin steckt in der Geschichte, der kennt sie nicht, und wenn er noch so sehr dabei sein muss.“
Das heißt, der Vorgang des Geschichte Erlebens, dann des Über Geschichte Redens, dann des Geschichte Schreibens, wird selbst zum Thema des Films. Und das ist ehrlich. Ehrlicher als die vorgetäuschte Gewissheit des History Channels – wobei die Sensationen, auch in Mannheim, keineswegs ausgespart werden....mit der Michael Kötz eigenen Respektlosigkeit.
Wo kommen denn jetzt die Bilder her? Es wird zwar viel erzählt in diesem Film, aber er ist auch von großem, überraschendem Bilderreichtum. Zu den Gründungszeiten Ihrer Stadt, an den sumpfigen Ufern von Rhein und Necker, geht’s schon los. Wo hat er die ganzen Statisten her, werden Sie sich vielleicht wundern. Der Regisseur hat – wie jeder andere es auch machen würde, machen müsste – auf Vorhandenes zurückgegriffen. Aber eben nicht nur auf sogenannte historische Dokumente, sondern auf die Bilder, von denen er am meisten versteht: Filmbilder. Ganze Sequenzen seines Films sind Verarbeitungen von Werken der Filmgeschichte.
Unerhört? Was hat das mit Mannheim zu tun? Alles Fiktion und nicht echt? Was macht Sie so sicher, dass ein gemaltes Porträt von Liselotte von der Pfalz authentischer ist als ein Film über sie? Dass ein Genrebild über höfisches oder bäuerliches Leben dieses treffender darstellt als eine Szene aus dem „Schinderhannes“ von Käutner? Weil diese Dokumente von Zeitgenossen stammen? Fragen Sie Kunsthistoriker mal über den Realitätsgehalt von Bildern!
Und Michael Kötz plündert ja nicht nur, er zitiert auch bewusst und ironisch. An zwei, drei Stellen, werden Sie es merken, wie wenig er den Spielfilmbildern zutraut, letztendlich. „Wenn schon eine Realität, dann eine schöne“, heißt es irgendwo, wenn auch in anderem Zusammenhang.
Man kann aber auch sagen: WIEVIEL er ihnen zutraut, diesen durch die Augen eines anderen gesehenen und damit konkret gewordenen Vorstellungen von dem, was wir Geschichte nennen.
Jeder gute Film ist gleichzeitig eine philosophische Abhandlung. Jede Geschichte – auch die Geschichte einer Stadt – enthält andere Geschichten und lehrt uns etwas über Geschichten und das Erzählen. Da werden aus Zufällen Ursachen, aus Gleichzeitigkeit entsteht Zusammenhang, da endet die eine Geschichte, bevor die andere anfängt, und es gibt Hauptpersonen, Gegenspieler, Nebenfiguren und treibende Kräfte, und einen Schauplatz. Wenn einem gar nichts mehr einfällt, tritt der „Deus ex machina“ auf. Sie merken schon, ich benutze literarische, sogar Theater-Begriffe, und – treiben wir es noch weiter – so ein Begriff wie das „Drehbuch der Geschichte“ erscheint wie ein Menetekel mit einem großen Fragezeichen auf dem Bühnenprospekt oder auf der Leinwand.
Nein, die Autoren dieses Drehbuchs sind wir selbst, und nach uns andere. Und der Film über Mannheims Geschichte und Geschichten wird alle paar Jahre anders aussehen, wie ein Traum.
Hier kommt unser Träumer und Geschichtenerzähler Dr. Michael Kötz.