Übersicht
Rede zur Eröffnung der Installation
„Labyrinth. Michael Wolff“,
in der Ev. Christuskirche Mainz, am 06. März 2018
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
Die mittlerweile vierte Installation von Michael Wolff in der Christuskirche schwebt über uns, und sie ist in ihrer genialen Einfachheit ebenso eindrucksvoll und geistig-geistlich verführerisch wie die früheren.
Der Weg ist lang
Ich erinnere an die Lichtsäule "In der Schwebe" von 2005, an die Spiegelfläche "Der andere Raum" von 2010 und an die "Himmelsleiter" von 2015. Übrigens alle sehr schön dokumentiert in einem gerade erschienenen Katalog.
2005-2010-2015: das hört sich nach einer Systematik an, und in der Tat waren die ersten drei Arbeiten hier vom Künstler als Trilogie konzipiert. Er ist jeweils mit einer Idee auf die Gemeinde zugegangen, und deren Realisierung wurde ihm ermöglicht. Diese neue Arbeit nun kam auf Anregung der Gemeinde selbst zustande. Ursprünglich für das Lutherjahr entwickelt, entschieden sich beide Seiten, die Realisierung in dieses Jahr zu verschieben, einfach um die Konzentration auf das Werk zu erhöhen und die Aufmerksamkeit zu fokussieren, die es verdient.
Warum eigentlich immer die Christuskirche? Ganz einfach: Dieser Raum, Eduard Kreißigs Zentralbau, der den Blick immer wieder nach oben entführt, ist die ideale Bühne für Michael Wolff. Alle seine Installationen hier nehmen Bezug auf die Zentralität und die Höhe, in der man sich bisweilen im Unendlichen verlieren kann. Alle vier Installationen betonen die senkrechte Mittelachse, die sich von Erwin Heerichs Altar in die Kuppel erstreckt - oder von der Spitze der Kuppel auf den schwarzen Granitblock, der das Zentrum des Geschehens bildet.
Die vier Arbeiten haben eines gemeinsam: Sie spielen mit Licht und Dunkelheit, mit Materialität und Illusion, man kann auch sagen: mit der Wahrnehmung des Immateriellen, und sie schaffen damit Metaphern für Transzendenz.
2005 betonte ich schon jene transzendentale, über sich selbst hinausweisende Dimension, die uns - bei aller Einfachheit der technischen Mittel - fasziniert und den Blick fesselt. Aber eben nicht nur den Blick provoziert und lenkt, sondern uns auch magisch berührt und Gedankengebäude aufscheinen lässt, denen wir nachhängen möchten.
Ohne dass es sich um religiöse Kunstwerke im engeren Sinn handelt, klingt der Hymnus an: Gloria in excelsis Deo - Ehre sei Gott in der Höhe. Der Friede auf Erden bleibt mittlerweile immer mehr ein frommer Wunsch, und jetzt entschuldigen die Exegese-Spezialisten bitte den Schlenker, denn mir geht es auch ums Wohlgefallen, und zwar das der Menschen - die guten Willens sind, wohlgemerkt.
Denn das "Wohlgefallen" stellt sich ein: Schon auf der rein sinnlichen Ebene schaffen Michael Wolffs Werke etwas wie Sehgenuss. Das Nachdenken kommt später, aber der erste Eindruck - und das gilt für alle großen Installationen des Künstlers, nicht nur in diesem Haus - ist, mir fällt kein anderer Ausdruck ein, das Gefühl erhabener Schönheit, gerade wegen der Schlichtheit ihrer künstlerischen Mittel.
Dass diese überzeugende Einfachheit mit hohem technisch-handwerklichem Aufwand erkauft werden muss, dürfte Ihnen klar werden, wenn Sie sich vorzustellen versuchen, wie dieses Gebilde von 6 Metern Durchmesser hergestellt, transportiert, in fast 20 Metern Höhe aufgehängt und beleuchtet werden muss. Darüber kann Ihnen der Künstler viel erzählen, das macht er sicherlich gern, und ich weiß, dass im Laufe einer solchen Arbeit immer mal wieder die Nerven blank liegen. Nicht aufgeben, weitermachen, eine Lösung finden, bis alles so ist, wie es sein soll, ohne Kompromisse. Ich bewundere diese künstlerische Haltung, nicht nur bei Michael, und ich bewundere auch die unglaubliche handwerkliche Kenntnis und Erfahrung dieses Mannes, die erst die Entstehung solcher Werke möglich macht.
Der Weg ist also lang bis zu einem Abend wie heute. Und er beginnt mit der Ideen- und Gedankenarbeit. Das Labyrinth: Der Ursprung des Wortes ist unbekannt. Uralter Topos, in vielen europäischen Kulturepochen in verschiedenster Weise baulich-materiell sichtbar gemacht, als Zeichenstruktur oder Bildmuster und Ornament. Etwa in Kreta, im klassischen Griechenland, bei den Römern, in der Gotik usw. Ich will heute nicht die Kunstgeschichte aufblättern. Am bekanntesten ist vielleicht das Fußbodenmuster in der Kathedrale von Chartres. Dort kann man in ihm wandern wie Kinder auf Pflastersteinen. Es gibt Labyrinth-Reliefs, die man mit den Fingern abfahren kann, es gibt die Heckenlabyrinthe des Barockgartens, und es gibt eben das Augenlabyrinth wie heute Abend über Ihnen.
Wichtig ist: Es geht nicht um einen Irrgarten, d. h. es gibt keine Sackgassen, und es gibt auch keine Verzweigungen, an denen wir uns für den einen von zwei Wegen entscheiden müssen.
Aber der Weg ist lang.
Er kann beschwerlich sein, man muss immer wieder die Richtung ändern. "Unser Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann", sagte der Künstler Francis Picabia. Insofern ist das kreisrunde Labyrinth, wie wir es hier sehen, die Idealform, denn sie beinhaltet eine Unendlichkeit von Richtungen und nicht nur vier wie bei einem rechteckigen Grundriss. Stellen Sie sich einfach die Bewegungen der Kompassnadel vor, wenn Sie das Labyrinth durchschreiten.
Der Weg ist lang, aber es gibt nur einen Weg, und der führt sicher zum Ziel, zwangsläufig. Vielleicht fühlen sich manche beengt, gegängelt, zu streng geleitet, wünschen sich Alternativen, Nebenwege neben dem Hauptweg, die Chance zum Irrweg, die Attraktivität der Sackgasse, den Reiz des Scheiterns? Aber der Weg ist alternativlos, es gäbe zwar ein Zurück, aber keinen Ausweg. Wer sich einmal entschieden hat, den Weg zu gehen, der kommt unweigerlich ans Ziel. Er kann natürlich auch auf halbem Wege rasten, das Weiterkommen vergessen, das Ziel aus den Augen verlieren, sich mit dem Stillstand abfinden.
Es existiert auch nur ein einziger Zugang. Ein erster suchender Blick soll ihn finden. Man möchte eigentlich da hinein. Vielleicht gibt es auch Menschen, die im Zentrum, im Ziel beginnen und dem Ausgang zustreben. Aber wo finden sie sich dann wieder? In der Leere, denn außerhalb des Labyrinths ist nichts. Das kann es nicht sein. Der Weg führt in die Mitte, ins Zentrum des Geschehens, ins Innere, ins Innere der Welt vielleicht, in unser eigenes Inneres vielleicht, in die Erkenntnis des Eigentlichen vielleicht. Oder? Und wissen wir, was uns am Ziel erwartet?
Nein, niemand weiß es. Denn wir können das Ziel nicht sehen, auch wenn es uns im Überblick, heute besser: im Aufblick, so scheint. Es gab bisher kein Labyrinth am Himmel, in der Höhe, nirgends. Ich behaupte, niemand auf der Welt hat das Labyrinth bis zum Ende durchschritten. Auch wenn manche Weltreligionen oder ihre Vertreter es behaupten.
Der Weg ist lang - und verschlungen
Und wenn wir ankommen, FALLS wir ankommen, haben wir zumindest eines: die Erfahrung des Weges. Und darum geht es. Sie haben jetzt die Chance, den Weg zu gehen, mal probeweise mit den Augen, und begleitet von einer Klangkomposition des Künstlers. Lassen sie die Augen wandern, folgen Sie den Klängen, folgen Sie Ihren eigenen Gedanken. Verirren können Sie sich nicht. Und jetzt lade ich sie ins Augen- und Klanglabyrinth ein. Auch dieser Weg ist nicht so lang, etwa 15 bis 20 Minuten.
Vielen Dank!