Stellungnahme zum Projekt „Mainzer Wände“ vom 14. 01. 2007

(„Brandbrief“)

 

 

Die folgenden Ausführungen basieren auf der mir vorliegenden Broschüre „mainzer wände“ des Autors Tom Möller, auf den aktuellen Pressemeldungen sowie auf den Internetpräsentationen „www.mainzer.waende.de“ sowie „www.ideenautor.de“ (Stand: Dezember 2007, derzeit nicht zugänglich).

 

 

Künstlerische Bewertung

 

a) historisch

 

Die Grundidee, leere Wandflächen im modernen Stadtgebiet künstlerisch zu gestalten, wurde bereits in den 70er Jahren des 20sten Jahrhunderts geboren und damals beispielsweise in entsprechenden Programmen in Berlin (West) und Bremen realisiert. Die verblichenen und abblätternden Reste dieser Aktivitäten sind da und dort noch zu besichtigen. Ihre Motivation wurzelt einerseits in den bis dahin spürbaren Kriegsfolgen mit Baulücken, freistehenden Brandmauern usw., andererseits in der wachsenden Kritik am modernen Städtebau, der als „grau“ und „rein zweckgebunden“ erlebt wurde. Hinzu kommen damals diskutierte Tendenzen, Kunst öffentlich sichtbar zu machen („Kunst für alle“), sowie Gegenbewegungen gegen technizistisch-konstruktives Denken bei Planern und Machern. Das Moment der Farbe wird (seitdem) als Metapher für die „Belebung“ des Stadtbilds verstanden, womit Begriffe wie „bunt“, „natürlich“, „menschenfreundlich“, „spielerisch“, „heiter“ etc. assoziativ verbunden sind, in der Regel ohne Bezug zum historischen Bestand der betroffenen Gebäude.

 

Auf die weiter zurückliegende kunsthistorische Tradition der Wandmalerei (von mittelalterlichen Fresken bis zur „Lüftlmalerei“, von den mexikanischen Murales bis zur Propaganda des Sozialistischen Realismus) soll hier nicht weiter eingegangen werden.

 

Aktionen wie Hausbemalungen aus den 70er Jahren haben in der Diskussion der Gegenwartskunst weder materielle noch geistige Spuren hinterlassen.

 

Diese Bemerkungen seien nur als Hintergrund zur Bewertung des beabsichtigten Projekts zu verstehen. In der überregionalen Einschätzung mag es allerdings durchaus spöttisch kommentiert werden, dass Mainz nunmehr auch die Gestaltung der Hauswände entdeckt hat.

 

 

b) aktuell

 

Die vom Autor Tom Möller geäußerte Idee, Künstler aus allen 27 Mitgliedsstaaten der EU (sowie Ruanda) zu beteiligen, klingt zunächst attraktiv, ist aber eher ein politisches als ein künstlerisches Argument.

 

Es wird sich als äußerst schwierig erweisen, aus allen 28 beteiligten Staaten Künstler zu finden, die nicht nur eine gute Idee haben, sondern auch in der Lage sind, eine Bemalung von einigen hundert Quadratmetern technisch und künstlerisch zu realisieren.

 

Wandmalerei ist nämlich nicht nur die geometrische Vergrößerung von Skizzen, Studien und Gemälden, sondern ein eigenes (und nicht sehr verbreitetes) künstlerisches Genre. Dabei geht es – jenseits von allen technischen Problemen – unter anderem um die Einschätzung der Wirkung von Dimensionen, Farben, Perspektiven, und zwar aus ungewöhnlich großen und den verschiedensten Distanzen, immer im Zusammenhang mit der umgebenden Architektur und Natur.

 

Der vom Autor vorgeschlagene Weg, sich aus 28 Staaten Künstler vorschlagen zu lassen und deren Entwürfe dann durch eine hiesige Jury oder womöglich durch Zeitungsleser bewerten zu lassen, wird mit Sicherheit zu größten Problemen führen. Auch die Einsetzung einer Fachjury garantiert keine künstlerische Qualität, da völlig unüberschaubar ist, welche und wie viele Künstler aus den beteiligten Staaten sich mit Entwürfen beteiligen werden.

 

Kunstprojekte im öffentlichen Raum in dieser Dimension erfordern zudem sehr detaillierte Entwürfe (mit Skizzen in unterschiedlichen Maßstäben, Einbeziehung der umgebenden Bebauung, Simulation der Wirkung aus unterschiedlichen Perspektiven, bis hin zur Kalkulation auf der Basis von konkreten Kostenvoranschlägen). Der dafür zu leistende Aufwand der Künstler (möglichst mit Ortsbesichtigung) müsste bezahlt werden, andernfalls erhielte man nur vage Ideenskizzen, die wenig Aufschluss über das tatsächliche Werk und seine Realisierung ermöglichten.

 

Bereits für erfahrene Kunstexperten ist es sehr schwierig, im Ausland für internationale Projekte geeignete Künstler zu finden, sofern nicht Zugriff auf ein eingespieltes Netzwerk besteht bzw. ausführliche und lang dauernde Recherchen (mit Reisen) möglich sind. Einem fachfremden Organisator wie dem „Ideenautor“ Tom Möller wird schon die zielgerichtete Publizierung des Projekts in 28 Ländern und die Kontaktaufnahme mit einschlägigen Vermittlern vor Ort in 28 Staaten kaum möglich sein.

 

 

Städtebauliche und denkmalschützerische Einschätzung

 

Bereits der in der Presse vorgestellte Entwurf einer Bemalung des Schuhhauses Buttler am Markt schließt sich wegen der Nähe zu den wiederhergestellten Fassaden der historischen Markthäuser aus. Der Vorschlag lässt jegliches Gespür für die dortige städtebauliche Situation und das ästhetische Umfeld vermissen. Dies gilt ebenso für alle anderen in der Broschüre abgebildeten Photomontagen. Auch wenn die gezeigten Bildmotive Platzhalter für noch zu erstellende Entwürfe sind, zeugt deren Auswahl in Kombination mit den vorgesehenen Plätzen von wenig Einfühlungsvermögen in deren historisch-bauliche Umgebung.

 

 

Referenzen und Kooperationen

 

Projekte der hier angestrebten Größenordnung hat der Autor offenbar bisher nicht realisiert. Auf seiner bisherigen Website („www.ideenautor.de“, derzeit nicht zugänglich) fand sich lediglich das angestrebte Projekt „Mainzer Wände“ selbst.

 

In der Broschüre zum Projekt wird mehrfach auf eine mögliche Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut verwiesen. Eine Nachfrage beim zuständigen Abteilungsleiter des Goethe-Instituts ergab, dass von dort aus keine zentrale Unterstützung erfolgen wird. Lediglich lokale Institute in den Partnerländern könnten, sofern sie möchten, durch Benennung dortiger Künstler ideelle Hilfe leisten. Ob dies erfolgen wird, ist nicht bekannt. Eine finanzielle Unterstützung (Transport oder Unterbringung der anreisenden Künstler, wie in der Broschüre angedeutet) durch die Goethe-Institute schließt sich schon wegen deren anderer Aufgabenstellung aus. Dies ist Herrn Möller auch vor längerer Zeit mitgeteilt worden. (Quelle: direkte Recherchen beim Goethe-Institut)

 

Ebenfalls Kooperationen mit anderen Institutionen (Kirchen u. a.) erscheinen nach der Broschüre nur als „möglich“, „versprochen“ oder „vorgesehen“, ohne dass auf konkrete Vereinbarungen verwiesen wird.

 

In diesem Zusammenhang sei angemerkt, dass der „Ideenautor“ mehrfach unzutreffende Bezeichnungen von angestrebten Partnern benutzt, was darauf hindeutet, dass bisher keine direkten Beziehungen zu den genannten Kooperationspartnern bestehen, z. B. „Kunst-Fakultät der Uni Mainz“. (Quelle: Broschüre „mainzer wände“)

 

Auch die Beteiligung von Industrieunternehmen, die offenbar die Hauptlast der Kosten tragen sollen, ist lediglich angestrebt, ohne dass aber bereits konkretes Interesse von dieser Seite nachgewiesen wird. Die Zielsetzung aus der Broschüre „Die 50 größten Firmen aus unserem Land sollen für die mainzer wände gewonnen werden.“ erscheint – gelinde gesagt – äußerst optimistisch. In einem Radiointerview erweitert Möller sicherheitshalber auf die „100 größten Firmen“.

 

Selbst die Meldung von „leeren“ Hauswänden infolge der aktuellen Werbeaktion in der Allgemeinen Zeitung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es im innerstädtischen Bereich äußerst schwierig sein dürfte, ausreichend viele geeignete Plätze (28!) für das Projekt zu finden.

 

 

Finanzierung und Kosten

 

Die technische Durchführung sowie die organisatorische Betreuung des Projekts werden erhebliche Kosten verursachen. In der Presse wird mitgeteilt, das Projekt sei „nichtkommerziell“. In der Tat aber wird der Autor sich seine Arbeitsleistung und ggf. die seiner Mitarbeiter bezahlen lassen. Insofern handelt es sich um eine Geschäftsidee im Dienstleistungssektor, auch wenn keine Ware gehandelt wird. „Ideenautor“ Tom Möller möchte eine Idee verkaufen und bietet seine Dienste an.

 

Auch wenn alle zu begleichenden Auslagen möglicherweise von privaten Sponsoren getragen werden, verursacht das Projekt doch indirekt Kosten für die öffentliche Hand: Einbindung in PR-Aktivitäten, Unterstützung durch Tourismus-Werbung, Arbeitszeit vieler zu beteiligender Ämter (z. B. Prüfung jeder einzelnen vorgeschlagenen Hauswand!), mit Sicherheit auch Folgekosten.

 

Zur Absicherung der Folgekosten (z. B. Pflege, Restaurierung, Nacharbeitung – auch bei unsachgemäßer Ausführung! – und ggf. Entfernung) müsste ein Sicherungsfonds bereitgestellt werden. Dazu ist der Unternehmer Tom Möller vermutlich nicht in der Lage, und auch mögliche Sponsoren werden dieses Risiko nicht tragen wollen.

 

 

Publizistische Wirkung

 

Die in der Broschüre unter dem Stichwort „Vorteile für die Stadt Mainz“ aufgelisteten Nutzen sind demgegenüber rein spekulativ. Weder eine Erhöhung der Übernachtungszahlen, noch die Veranstaltung von Busrundfahrten zu den „Mainzer Wänden“ sind realistisch einkalkulierbare Folgen der Aktion, schon gar nicht die Verlagerung europapolitischer Kongresse und Ereignisse in die Stadt allein aufgrund der Wandbemalungen. Auch die in diesem Zusammenhang geäußerten Vorstellungen des Autors Tom Möller zeugen von getrübter Urteilskraft.

 

 

Zur persönlichen Qualifikation des „Ideenautors“ Tom Möller

 

Die Biografie Tom Möllers weist keinerlei einschlägige Erfahrung oder abgeschlossene Berufsausbildung auf (außer dem seemännischen Abschluss als Bootsmann), statt dessen vielfältige Jobs, die als Lebenserfahrung verkauft werden und mit Schlagworten den „kreativen Geist“ des Autors nachweisen sollen. Nachweise seiner Kreativität bleibt der Autor jedoch schuldig. (Quelle: bisheriger Internetauftritt „www.ideenautor.de“, derzeit nicht zugänglich)

 

Tom Möller hat im Vorfeld der Werbung für das Projekt verschiedene Personen aus der regionalen Kunstszene angesprochen und um Vermittlung von ideellen Unterstützern gebeten („Bitte nenne mir Namen!“). Dabei wurde deutlich, dass seine Kenntnisse des Gesamtzusammenhangs, der Institutionen und der fachkundigen Personen gering sind. (Quelle: persönliche Mitteilungen)

 

Auf zahlreiche sachliche und sprachliche Fehler in der vorliegenden Broschüre sei nur am Rande hingewiesen.

 

 

Nachhaltigkeit

 

Viel dauerhafter und prominenter als jede der derzeit diskutierten „Fastnachtsfiguren“ würden die überdimensionalen „Mainzer Wände“ das Stadtbild auf Jahre prägen und beeinträchtigen.

 

Auch wenn einzelne Motive vielleicht im Moment gefallen, ist ihre „ästhetische Halbwertzeit“ mit Sicherheit kurz, dafür die materielle Präsenz umso dauerhafter.

 

Der langfristige Verfall der geschaffenen Werke, wie an vielen Beispielen in anderen Städten zu sehen, bedeutet außerdem die Notwendigkeit ständiger Pflege und ggf. Restauration.

 

Das damit verbundene „ästhetische Risiko“ für den innerstädtischen Bereich ist im Vergleich zu anderen künstlerischen Maßnahmen außergewöhnlich hoch.

 

 

Schlussfolgerungen

 

1) Die dauerhafte Präsenz der beabsichtigten Wandbemalungen im Stadtbild über viele Jahre – sowie das Problem ihrer langfristigen Pflege – erfordern äußerste Vorsicht bei entsprechenden Entscheidungen und bergen ein hohes Risiko für Stadtbild und Image.

 

2) Der künstlerische Wert der angestrebten Stadtbemalung ist gering.

 

3) Die Finanzierung des Projekts ist unüberschaubar und bisher völlig ungeklärt.

 

4) Kooperationsmodelle für das sehr umfangreiche Projekt sind vom Autor bisher nur angezielt, aber bestehen nicht nachweisbar.

 

5) Die angestrebte publizistische Wirkung und die entworfenen Effekte für Tourismus, Image und  die politische Bedeutung der Stadt Mainz erscheinen sehr vage und kaum planbar.

 

6) An der fachlichen Kompetenz Möllers – sowohl in künstlerischer wie organisatorisch-konzeptioneller Hinsicht – bestehen erhebliche Zweifel. In Anbetracht des finanziellen, publizistischen und organisatorischen Aufwand des Projekts erscheint das Risiko, das mit einer Beauftragung, einer finanziellen oder auch nur ideellen Unterstützung verbunden ist, zu hoch.