Eine greifbare Vision?
Das Kesselhaus als Kunstquartier
Mainz. Vierteljahreshefte für Kultur, Politik, Wirtschaft, Geschichte Heft 3/2004, S. 30 - 33
Die Überraschung war gelungen: Am 25. März 2004 verkündeten Oberbürgermeister Jens Beutel und Stadtwerke-Chef Detlev Höhne vor der versammelten Stadtleitbild-Kommission die Idee einer Kunsthalle für Mainz, und zwar im historischen Kesselhaus auf dem Gelände des Zollhafens. Nach jahrelangem ergebnislosen Tauziehen um die Erweiterung des Landesmuseums, nach dem nicht mehr zu verhindernden Ende der städtischen Galerie im Brückenturm und der bisher erfolglosen Suche nach einem dauerhaften Ersatz, nach dem Rückzug privater Galerien aus der Stadt und im Angesicht ständiger Kürzungen in den Kulturetats hatte das Mainzer Kunstpublikum im Grunde schon jede Hoffnung auf bessere Zeiten aufgegeben. Es schien, als ob aktuelle Kunst auf Jahre hinaus nur noch in den Nachbarregionen, aber kaum noch in der Landeshauptstadt Mainz zu sehen sein würde.
Ein neues Haus für die Kunst
Und jetzt diese Vision von unerwarteter Seite! Was den Vorschlag so attraktiv und geradezu elektrisierend macht, ist nicht nur die bloße Idee, sondern vor allem die greifbare Aussicht auf ihre Umsetzung: Die Stadtwerke AG bieten an, das 1887 von Stadtbaumeister Kreyßig entworfene Gebäude schlüsselfertig umzubauen und miet- und betriebskostenfrei zur Verfügung zu stellen. Vorfinanziert würde das Projekt aus den Erträgen der Umgestaltung des Zollhafengeländes zum Wohn-, Freizeit- und Kulturpark, zum „Kulturhafen“. Wenn auch das Gesamtvorhaben zehn bis fünfzehn Jahre in Anspruch nehmen wird, kann die Kunsthalle bereits in zwei bis drei Jahren bezugsfertig sein und dann als Zugpferd für das gesamte Areal dienen.
Nun gehört zu den Unternehmenszielen der Stadtwerke weder die Kunstförderung, noch stehen sie im Verdacht, Luftschlösser zu planen. Umso realistischer – weil betriebswirtschaftlich durchkalkuliert – erscheint daher das Projekt. Dennoch muss man den beiden Verantwortlichen auch ein ganz persönliches Interesse für die Sache und das Wissen um den kulturellen Bedarf in der Stadt bescheinigen, schließlich hätte man z. B. auch die heute so beliebte Erlebnisgastronomie an dieser Stelle vorschlagen können.
Gastronomie in „kulturverträglicher Form“ ist allerdings tatsächlich Teil des Konzepts. Ein gepflegtes Bistro oder Café im Gebäude, womöglich unter Einbeziehung der Dachterrasse, könnte einerseits zur Refinanzierung beitragen, andererseits aber auch die Kunsthalle selbst noch attraktiver machen. Zudem sind Synergieeffekte zu erwarten: durch Catering für Veranstaltungen, gemeinsame Nutzung von Nebenräumen (Eingangsbereich, Garderobe, WC, ggf. kleiner Veranstaltungssaal) und anderes mehr.
Neue Betriebsformen
Voraussetzung für einen auch in Publikumszahlen messbaren Erfolg ist nämlich eine ganz neue Betriebsform des Hauses, die weit über das Anbieten von sechs oder sieben hochrangigen Ausstellungen pro Jahr (wie in der bisherigen städtischen Galerie) hinausgehen muss. Zum einen müsste – das Raumangebot von insgesamt etwa 2000 qm lässt dies zu – der Ausstellungsbereich zweiteilig sein, etwa in Form einer „großen“ Kunsthalle und einem Studiobereich. Dies würde parallele Ausstellungen unterschiedlicher Größe und Funktion ermöglichen. Im Studio könnten z. B. ganz junge, experimentelle Kunstformen präsentiert werden, Akademie-Ausstellungen, Gastkünstler aus Partnerstädten und vieles mehr, während die große Halle überregionale und internationale Perspektiven aufzeigt und damit auch ganz dezidiert versucht, Mainz einen Platz in der Bundesliga der Kunstvereine und Kunsthallen zu erobern.
Ein weiterer Aspekt: Auch das Traumangebot eines schlüsselfertigen Ausstellungshauses wird Mainz nicht automatisch und von jetzt auf gleich zu einem Kunstzentrum machen. Dafür braucht es eines jahrelangen Vorlaufs – beim Publikum, bei den wenigen örtlichen Experten und nicht zuletzt in den regionalen Medien. Damit sich die Kunsthalle als Flaggschiff etabliert, ist die Einbeziehung der regionalen Kunstszene und ihrer Institutionen unumgänglich. Das Stichwort dazu heißt Kooperation: mit Künstlergruppen, Atelierhäusern, der Akademie, den Kunstvereinen der Region, den Galerien, dem Kultursommer und vielen anderen. Auch dafür ist ein mehrteiliges, flexibles Raumprogramm die Voraussetzung – wobei die Innenarchitektur eher einfach als teuer, eher zweckmäßig als aufwändig sein muss.
Zudem sollte über die bildende Kunst hinausgedacht werden. Musik, Literatur und andere Sparten könnten das Haus mit Veranstaltungen beleben. Die Kunsthalle wäre Gastgeber, das Programm käme von den einschlägigen Veranstaltern. Und warum nicht eine „Talkshow aus dem Kesselhaus“ von ZDF oder SWR? Der Möglichkeiten sind viele, nicht zuletzt durch Einbeziehung der Außenflächen und der Wassernähe.
Neue Finanzierungsquellen
Die Grenzen aller Gedankenspielereien aber steckt der finanzielle Rahmen. Mit dem mietfreien Gebäude ist zwar genau der Stolperstein aus dem Weg geräumt, der letztendlich die Galerie im Brückenturm zu Fall brachte. Mit dem bisherigen städtischen Galerieetat allein aber ist eine Kunsthalle in der skizzierten Größenordnung nicht zu betreiben. Das Land Rheinland-Pfalz ist als erstes gefordert, das Kunstangebot auf hauptstädtisches Niveau zu heben und sich zu engagieren. Das Gesamtkonzept „Kulturhafen“ und das attraktive Kesselhaus als Vorzeige- und Identifikationsobjekt wird außerdem die Sponsorenwerbung sehr viel einfacher machen, ohne die es nicht geht. Weitere Einnahmequellen sind zu prüfen: etwa die tageweise Vermietung außerhalb der Öffnungszeiten, Eintrittsgelder, Provisionen, Jahresgaben.
Erforderlich ist aber auch eine flexible Geschäftsführung (bei der Personalstruktur, der Sponsorenarbeit, dem Marketing und der Budgetverwaltung). Dafür erscheint die Übertragung des Betriebs an eine unabhängige gemeinnützige Organisation (Trägerverein) zwingend. Auch ein Potential von ehrenamtlichen Helfern (für organisatorische und technische, aber auch konzeptionelle Aufgaben) könnte so aktiviert werden. Ein künstlerischer Leiter (Intendantenmodell), unterstützt durch einen fachkundigen Beirat, müsste dem Haus ein Profil geben und stünde für seine Unabhängigkeit.
Bis zur ersten Ausstellung in der Kunsthalle Mainz sind noch viele Details zu klären, viele Hürden zu beseitigen und Mitstreiter zu gewinnen. Wichtig ist jedoch bereits jetzt die Erarbeitung eines tragfähigen Betriebskonzepts, gemeinsam getragen von Oberbürgermeister Beutel, Kulturdezernent Krawietz, dem städtischen Kunstbeirat und den Stadtwerken – damit die Vision einer Kunsthalle für Mainz Wirklichkeit wird.
Epilog September 2006: Eine Vision wird Wirklichkeit...
Entwurf Prof. Günter Zamp Kelp
Leitlinien in 20 Punkten vom 31. 08. 2006
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