Ein Museum wird zum Versuchslabor
Aus Landesmuseum Mainz (Hrsg.): „Experiment
Museum“,
Ausstellungskatalog, Mainz, 1996, S. 2ff.
Experiment Museum
Acht Installationen, die technische Kommunikationsmedien verwenden, sind in der Ausstellung "Experiment Museum" versammelt. Gemeinsam mit "Il fiume della storia" von Fabrizio Plessi und der Veranstaltungsserie "Videokunst International" bilden sie für zwei Monate das "Museum der Medien", das erste Projekt dieser Art und in dieser Größenordnung in der Landeshauptstadt Mainz. Fabrizio Plessi, als Videokünstler international gefragt und für den Kontext eines Museums besonders interessant, wurde eingeladen, speziell für das Landesmuseum Mainz eine raumgreifende Installation zu entwerfen. Den historischen Hintergrund für seine Arbeit liefert die Serie der Abendveranstaltungen mit Beispielen aus der Geschichte der Videokunst. Das "Experiment Museum" schließlich kann als Ausblick auf Zukünftiges verstanden werden. Denn die Arbeiten wurden von Studenten der drei Ausbildungsstätten des Landes entwickelt, die sich mit den neuen Medien beschäftigen: die Film- und Videoklasse im Fachbereich Bildende Kunst der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, das Institut für Mediengestaltung und Medientechnologie an der Fachhochschule Mainz und das Fachgebiet Video und Neue Medien im Fachbereich Design der Fachhochschule Trier. Studenten dieser drei Hochschulen wurden im Herbst 1995 aufgefordert, Installationen zu entwerfen, die auf das Museum reagieren und in die ständige Sammlung zu integrieren sind. Von dreizehn eingereichten Vorschlägen konnten schließlich acht realisiert werden. Die Betreuung übernahmen die drei Professoren Franz Kluge, Harald Pulch und Dr. Harald Schleicher. Die Ergebnisse, auf den folgenden Seiten noch im Entwurfsstadium vorgestellt, zeigen Versuche einer Annäherung an die Institution Museum. Sie sind gleichzeitig Vorschläge zu einer neuen Sicht auf eine ehrwürdige Institution.
Der Titel "Experiment Museum" ist durchaus mehrdeutig zu verstehen. Ein Museum geht in seiner Präsentation - die durch die Auswahl der Exponate ebenso bestimmt wird wie durch seine bauliche Struktur, durch didaktische Hilfen ebenso wie durch seine Selbstdarstellung in Plakaten, Programmen, Katalogen und Anzeigen - immer ein Experiment mit der Öffentlichkeit ein. Besucherzuspruch, Presseecho, fachwissenschaftliche Anerkennung und nachzählbare Wertschätzung durch die Politiker sind - unter anderem - Ergebnisse dieser Versuchsanordnung. Künstler, zudem junge, in der Ausbildung befindliche, zu motivieren, ihrerseits auf das Phänomen Museum zu reagieren, bedeutet, den üblichen Erfahrungshorizont aus der Sicht des Hauses erheblich, sogar unvorhersehbar zu erweitern. Das Experiment besteht schließlich auch in der Frage: Wie reagiert das Museum, einschließlich aller Mitarbeiter, auf die Vorschläge der Künstler, die teilweise im Wortsinn den Rahmen sprengen, neue, ungewohnte Ausstellungsräume erobern und Anforderungen an Verständnis und Technik stellen wie vorher kaum ein Künstler der klassischen Sparten.
Insofern war - und dies gilt ebenso für die zentrale Installation von Fabrizio Plessi in der Steinhalle, dem "forum romanum" des Hauses - das Vorhaben insgesamt nie eine einfache Ausstellung von "Medienkunst", die auf Zeit in beliebigen Räumen für Wechselausstellungen untergebracht werden kann und vom Museum wie vom Besucher strukturell nicht mehr und nicht weniger erwartet als jede andere Sonderausstellung. Vielmehr wird das Museum mit seinen Abteilungen von der Vor- und Frühgeschichte bis in unser Jahrhundert einbezogen in eine komplizierte künstlerische Auseinandersetzung über Fragen der Geschichte, ihrer Repräsentanten, ihrer Orte, ihres Materials und unseres Umgangs damit. Museum und Künstler gestalten, miteinander experimentierend, das dritte Experimentierfeld, jenes, in dem der Besucher zur Reaktion aufgefordert ist.
Ein besonderer Reiz des Versuchs liegt zudem in der fachlichen Orientierung der beteiligten Hochschulen. Es sind eben nicht (nur) Studenten der "freien bildenden Künste", die sich am Projekt beteiligen, sondern das Stichwort "Kommunikation" ist, wenn nicht schon generell mit dem Begriff der "Neuen Medien" angesprochen, als Arbeitsfeld und Fragestellung explizit in den Ausbildungsprogrammen enthalten. Das bedeutete, dass die Studenten in ihren Vorschlägen sehr schnell und sehr deutlich die Phänomene musealer Kommunikation ansprachen, thematisierten und künstlerische Alternativen entwickelten, ohne je in didaktischen Schematismus zu verfallen.
Ansatzpunkte
Ob als Ausgangsreiz nun einzelne Ausstellungsstücke, ganze Abteilungen, das Landesmuseum in seiner Anmutung insgesamt oder Vorstellungen zur Institution als solcher im Vordergrund standen, zusammengefasst können drei Blickpunkte die Erfahrungsfelder bezeichnen, auf denen gearbeitet wurde.
Da ist zunächst eine Faszination von der enormen zeitlichen Distanz, die zu großen Teilen der Sammlung gespürt wird. Diese wird auch als Distanz im Bewusstsein erlebt, indem Bezüge zu heutigen Erfahrungswelten gesucht - und teilweise vermisst - werden. In fast allen der schließlich realisierten Arbeiten ist der Versuch erkennbar, Brücken zur im Museum repräsentierten Vergangenheit zu schlagen, sei es durch kontrastierende Montage und Überlagerung von historischen Exponaten mit Gegenwartsbildern, wie bei "geh-Zeiten", sei es durch Installation eines fiktiven "Zeitstrahls" in Form eines Brunnens wie bei "fons temporis" oder durch Beschwörung der barocken Existenz des Hauses, das als Reiterkaserne gedient hat und noch heute im Volksmund bisweilen den Namen "Golden-Ross-Kaserne" trägt.
Ein zweiter sich aufdrängender Aspekt betrifft die Geographie und architektonische Präsenz des Museumsgebäudes, das als hermetisch und labyrinthartig erlebt wird. Eine Fortbewegung des Besuchers in Form eines linearen, historischen Rundgangs scheint erwünscht und empfohlen. "in nuce" verlässt das Gebäude und lagert Erfahrungsmöglichkeiten aus, in den öffentlichen Raum, während das Internet-Projekt "http://www.museum.mkjff.rpl.de/" von der Konzeption her das Museum gar nicht erst betritt, sondern nur den Besuch im Datenraum ermöglicht.
Drittens schließlich sind es Materialqualitäten, direkte optische, haptische oder auch akustische Erlebnisse, die an einzelne Ausstellungsstücke der ständigen Sammlung oder die Erfahrung des Museumsbesuchs gebunden sind. Die Detailwahrnehmung von Oberflächenstrukturen, wie etwa bei "in nuce" ins Extrem vergrößert, oder auch das Aufspüren von Nebengeräuschen des Museumsbetriebs inmitten der üblicherweise stillen Ausstellungshallen bei "Musehörum" gehören hierher. "Hinter Glas" ins Unsichtbare verschwindet ein Bildnis aus dem 19. Jahrhundert in der Installation gleichen Titels.
Wie bringen sich die als Kommentare oder Paraphrasen zum Museum konzipierten Arbeiten wieder in den Museumskontext ein? In mehreren Dimensionen ist provozierender Kontrast - und fruchtbares Spannungsverhältnis - bereits durch die Ansprache der neuen Medienkünste vorgedacht. Stillen, unbewegten, repräsentativen, nicht selten monumentalen Zeugen der Vergangenheit treten Phänomene entgegen, die flüchtig, bewegt, virtuell und nicht annähernd derart geschichtlich aufgeladen sind. Zusätzlich können die neuen Kommunikationstechniken auditive Erlebnisse vermitteln, eine Eigenschaft, die fast alle gezeigten Studentenarbeiten ausnutzen - übrigens ebenso wie Fabrizio Plessi -, wodurch das Museum für die Zeit der Ausstellung eine differenzierte akustische Kulisse dazugewinnt.
Die Studentenarbeiten
Die Herausforderung, mit diesen dem klassischen Repertoire der im Museum vertretenen Künste so konträren Medien wiederum dort ausstellbare Objekte zu schaffen, wurde sehr unterschiedlich beantwortet. Von der Präsentation einem Tafelbild am ähnlichsten ist "maiani 01.flic", eine Computeranimation von Christoph Wasserhoven mit sehr reduziertem, dadurch umso konzentrierterem Bildprogramm. Nur ein schmaler Querstreifen des Monitors wird benutzt, auf dem unter anderem zu Kugeln verformte Filmsequenzen (aus "Ben Hur") sich bewegen und begegnen. Der Monitor ist in eine Wand eingelassen, die nur den bearbeiteten Ausschnitt des Bildschirms in einem Sehschlitz freigibt. Die dahinterstehende, bilderzeugende Technologie bleibt verborgen, nur das Bild selbst ist sichtbar. In der Thematik (Pferde und Römerzeit) und im verwendeten Material ist ein Bezug zum Ort der Präsentation angedeutet, aber unauffällig und ohne Selbstdarstellung wird die Apparatur lediglich dienstbar gemacht.
Auch der Monitor in der Arbeit von Susanne Litz versteckt sich hinter einer Wand. Ein klassischer Rahmen umgibt das Videobild, aus dem das Porträt einer jungen Dame aus der Mitte des 19. Jahrhunderts uns anschaut, ein Gemälde aus den Beständen des Landesmuseums. "Hinter Glas" - so der Titel der Installation - bezieht sich nicht nur auf den Bildschirm. Die Rahmung und Verglasung des Bildnisses ist ins Extrem fortgesetzt: Nach und nach werden immer mehr Glasscheiben geräuschvoll vor das "Original" geschoben, bis es nicht mehr erkennbar ist. Ein ironischer Kommentar zum Dilemma zwischen Zeigen und Bewahren der Kunst im Museum, aber ebenso Anlass zu Spekulationen über den graduellen Verlust der Realität auf dem Weg von Abbildung zu Abbildung.
Die drei Autorinnen des Projekts "geh-Zeiten", Nicole Fassold, Karin Schecker und Patricia Vatter, gehen einen Schritt weiter. Sie haben eine Videosequenz erarbeitet, die an verteilten Standorten im Haus zu besichtigen ist. Aufnahmen aus dem Museum wurden durch aufwendige Nachbearbeitung mit anderen Bildquellen, vornehmlich kontrastierenden, vermischt und überlagert. Daß es um einzelne, ausgewählte Exponate der Sammlung geht, wird allerdings hier durch die Form der Präsentation unterstützt: die Monitore wurden soweit wie möglich in die Dauerausstellung integriert, d.h. sie stehen zwischen anderen Ausstellungsstücken in Vitrinen, reihen sich in steinerne Monumente ein oder stehen als Möbelstück in einem Gründerzeit-Zimmer.
Die bisher genannten Arbeiten sind nicht als Videoskulpturen anzusprechen. Sie fügen sich als Bildfläche in die Museumsräume ein. "fons temporis" von Gerhard Heiland dagegen tritt auch äußerlich und materiell als klassische dreidimensionale Plastik auf (die Unterscheidung der Begriffe "Skulptur" und "Plastik" scheint im Bereich der elektronischen Medien nicht mehr sinnvoll). Die Technik des Monitors wird freigelegt, seine Herkunft aus einer hochtechnisierten Fabrik betont, noch unterstützt durch das klare Plexiglas, ein Edelprodukt des Kunststoffzeitalters. Der Bildschirm aber, nach oben gerichtet, ordnet sich einer bereits vorhandenen Plastik unter: einem antiken Wasserspeier. Diesen erweckt er virtuell wieder zum Leben, tritt mit ihm durch das Element Wasser in Verbindung, und beide formen gemeinsam ein neues zeitübergreifendes, auch die Dimensionen von Zeit kommentierendes plastisches Ensemble.
Von der Skulptur zum Environment: "Musehörum" von Erica von Moeller ist eine selbständige und separat präsentierte Rauminstallation ohne direkte materielle Anbindung an museale Räume oder Objekte, aber mit deutlichen inhaltlichen Bezügen zu ihnen. Im Titel bereits angedeutet, tritt hier die Tonebene prominenter als bei allen anderen Arbeiten auf. Mehrkanalig montierte Geräuschquellen bestimmen die Montage der Bildfolgen auf fünf Monitoren, dieses Mal eher auf die Abläufe hinter den Türen und Stellwänden als auf das sichtbare Museumsangebot konzentriert. Bild und Ton, beide zeitlich strukturiert, erhalten eine weitere Dimension durch die Raumgestaltung. Mehrkanalige Multi-Monitor-Installationen tendieren, wie z. B. bei Paik und Lafontaine, zur Monumentalität. Dem hat die Künstlerin hier gegengesteuert, indem sie Bildschirme und Zuspielgeräte hängend, sogar beweglich anbrachte und eine spezielle Gerüstkonstruktion benutzte.
Den an Umfang größten gestalterischen Aufwand bei der Herstellung einer geeigneten Umgebung zur Vorführung der Bildwerke - denn um Bilder geht es nach wie vor bei allen realisierten Medienprojekten - betreiben Anja Biebl, Heike Brockmann, Martin Pietler und Christof Rickert. Ihre Installation "in nuce" ist nicht nur betretbar, sie schafft einen neuen Raum, der bis dahin noch nicht existierte und nun sogar von außen, als temporäre architektonische Zutat zum Landesmuseum, ins Auge fällt, noch bevor man das Gebäude überhaupt betritt: Ein großer Überseecontainer steht gegenüber dem Haupteingang und enthält eine Audiovision, die sich auf das Innere des Museums bezieht.
Dazu diametral entgegengesetzt ist die Methode von Oliver Schoßmann. Um "Die Zeit der Pferde" - so der Titel seiner Arbeit - wieder ins Bewusstsein zu holen, setzt er auf subtile Momente. Im Museum verteilt sind kleine Monitore und Lautsprecher, die in Bild und Ton die Vergangenheit des Gebäudes wiedererwecken. Als Gesamtwerk durchaus Environment, schleichen sich die einzelnen Elemente und Bauteile, durch elektronische Steuerung unregelmäßig in Betrieb gesetzt, unauffällig ein, um dann desto nachhaltiger mit Geräuschen von Pferden und dazugehörigem Bildmaterial zu überraschen.
Die Frage nach materiellen Eigenschaften des Kunstwerks, seiner äußeren Erscheinung im Kontext anderer Exponate und insofern auch "greifbaren" Beschreibungskategorien führt nicht weit bei einem Medium, das per definitionem beansprucht, keine materielle Existenz zu besitzen: gemeint ist das Internet. Ob der Begriff "Medium" für dieses Kommunikationssystem überhaupt anwendbar ist, wäre zu diskutieren. Der Standort des einzelnen Werkes in unserem Fall, also des Informationsgemenges, das unter dem Titel "http://www.museum.mkjff.rpl.de/" von Stefan Heintzenberg, Elke Klotsch und Horst Pietrek erstellt wird, ist sicherlich nicht der Großrechner, der die Daten speichert. Ebenso wenig ist es das Landesmuseum, denn die Präsentationen innerhalb der Ausstellung "Experiment Museum" sind nichts weiter als ein Zugeständnis an die Gewohnheiten und Bedürfnisse der Besucher. Die Datensammlung ist vielmehr von jedem Computer der Welt mit Modem (d. h. Telefonverbindung) und Internet-Zugang zu besichtigen - auch das Landesmuseum musste diese technischen Voraussetzungen erst einrichten, um das Projekt im eigenen Haus sichtbar zu machen.
Schon dieses Paradox des "überall und nirgends", d. h. die Tatsache, dass das Werk nicht zu lokalisieren und dennoch von überall zugänglich ist, ist vom Gedanken her eine Absage an den traditionellen Ausstellungsbetrieb. An welcher Stelle im Datennetz und ob überhaupt so etwas wie ein Kunstwerk schließlich abzugrenzen ist, kann und muss anhand des mehrteiligen Projekts diskutiert werden, das interaktive Elemente enthält, aber auch fertig gestaltete Bildseiten, das als Nachrichtenagentur für die gesamte Ausstellung fungiert, aber auch als Forum für Einsendungen von außen. Insofern ist "http://www.museum.mkjff.rpl.de/" vermutlich das Experiment, das in der Fragestellung am weitesten geht. Als Werkstatt, work in progress, Labor und Versuchsfeld ist es auch innerhalb der Ausstellung platziert und konzipiert und nimmt gegenüber den anderen Arbeiten eine Sonderstellung ein.
Gemeinsam ist allen realisierten Studentenarbeiten ein genauer Blick auf die erlebte Realität des Museums. Mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten und einer großen Bandbreite von künstlerischen Mitteln wurden neue, ungewohnte Gedankenverbindungen geschaffen und Einzelheiten aus der Sammlung und dem Museumsalltag ins Bild gerückt, die beim Rundgang durchs Haus vielleicht nur wenigen Besuchern auffallen. Jede einzelne Installation lenkt somit die Aufmerksamkeit auch wieder nach außen, verweist auf ihren Ort und Anlass, ist Aufforderung für einen neuen Versuch im "Experiment Museum".
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