Hiroshima-Gedichte
Übertragen aus dem Englischen von Günter Minas
Aus Giuseppe Zambon (Hrsg.): „Abels Gesichter –
Hiroshima, Nagasaki“,
Frankfurt/Main: Edizioni Zambon, 1997, S. 72ff.
Die atomare Wüste (Auszüge)
von Sumako Fukuda
An meine tote Mutter und meinen toten Vater
Dieser glühende Lichtschein eines Augenblicks
Riss Eure Leben fort,
Und jetzt seid Ihr dahingegangen in die Ewigkeit...
Ohne Abschiedsgruß, ohne ein letztes Glas auf
Erden,
Tauchtet Ihr lebendig in dieses Höllenfeuer.
Ach, welch schrecklichen Verbrechens wart Ihr
schuldig?
Nach einem Jahr wartete ich noch.
Nach zwei Jahren betete ich um ein Wunder.
Nach drei Jahren schloss ich endlich, ja,
Ihr seid gestorben,
Und zum ersten Mal weinte ich vor Schmerz.
Unter der verzehrend brennenden Sonne,
Ohne Schirm,
In Hamaguchi-machi, wo keine lebende Seele übrig
blieb,
Klimperten Stücke menschlicher Knochen
Wie Muscheln in meiner Hand.
Und das war kein Traum.
Die Wunde in meinem Herzen blutet noch
Auf der Suche nach Euch, Mutter und Vater, wie ein
verlorenes Kind.
Ach, dies war der Tag,
Seit dem mein Leben einen richtungslosen Lauf nahm.
Meine erstickte Seele hat sogar das Sprechen
vergessen
Und ein leerer Tag folgt auf den anderen.
Vierzig Jahre sind vergangen.
Die Menschen leiern sinnlose Friedensgebete,
Währenddessen hat das Wissen, das Euch als Trittstein
benutzte,
Waffen erfunden,
Vor denen selbst die Götter sich angstvoll ducken,
Und es hat die menschliche Rasse
Noch weiter hinabgestoßen auf dem Weg zur
Vernichtung.
Die Ruinen der Medizinischen Hochschule (1954)
Unter den nackten Hecken im verödeten Land
wachsen wilde Chrysanthemen, aber ihr Blütenstaub ist
dürftig.
Die Kletterpflanzen, die sich um die Fenster der
Ruinen ranken:
Lasst uns daraus eine Komposition
machen
für die Studenten, die hier gestorben sind.
Verborgen in den Ritzen der Betonmauern
Grüne Farnblätter mit winzigen Sporen.
In den heiligen Ruinen aus Beton
trifft sich die Jugend und singt aus einem Herzen.
Erinnerungen (1955)
Die Gedenksirene gibt das Zeichen zur Besinnung. Ich
schließe meine Augen,
und sehe ein Mädchen, die Haare von Flammen
verschlungen.
Ich stapelte die Leichen meiner Schüler auf der
versengten Erde.
Ach, mit diesen Händen verbrannte ich sie.
Würdenträger, einer nach dem anderen, legen Blumen
nieder.
Die Zeremonie der Atombomben-Andacht wird wie ein
Ritual abgehalten.
Wenn sie die Gedenkfeier begehen,
verstreuen sie Blumen aus einem Flugzeug,
viel prächtiger als die Tränen, die wir
verschütten.
"Ich will meinen vernarbten Rücken nicht zeigen",
schrie das Mädchen,
Dem eine Lungenoperation verschrieben worden war.
In einem Augenblick verstrich eine Dekade,
Wie lang wird er anhalten, der zerbrechliche Frieden
auf diesem Hügel?
Lieder der Atombombe
Die nukleare Wüste (1946)
Mitten in der verbrannten Ebene, Klaviersaiten,
Die blieben übrig, aber ach, meine Freundin ist
tot.
Auf dem Feld, wo die Vogelmiere wächst,
Die Klaviersaiten, sie rosten in Frieden.
Soll ich die Saiten ihr Grabmal nennen?
Unmöglich! wenn doch ihre Asche im Wind sich
zerstreut.
Ich streife durch das wüste Land, ziellos,
Und auch der Frühling geht vorbei, ohne
Schmetterlinge.
(aus "Brennende Knochen", Eine Auswahl von Tanka-Gedichten von Chie Setoguchi. Herausgegeben von der Schriftsteller-Vereinigung "Leben in Nagasaki", transkribiert nach der Ausgabe vom 1.August 1955)
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