Auf der Suche nach dem Experiment
Das European Media Art Festival in Osnabrück
Zeitschrift „epd Film“, Juni 2005
Eigentlich hätte man ein Jubiläum feiern können: Seit 25 Jahren treffen sich Film- und Videokünstler mit Innovationsanspruch in Osnabrück, und die derzeitigen Hauptaktivisten des Festivals, Alfred Rotert, Ralf Sausmikat und Hermann Nöring, zählen zu den Mitbegründern des „Experimentalfilm-Workshops“, wie er noch 1981 hieß. Gefeiert wurde indes nur ganz privat, statt dessen gab es wieder fünf Tage Film, Video, Kunst, Vorträge und Performances, verteilt auf sechs Aufführungsorte in der Stadt.
Das diesjährige Motto „Document“ wurde sowohl in der Auswahl des internationalen Filmprogramms als auch in den Beiträgen des Symposiums, in den Installationen der Dominikanerkirche und in Nebenreihen verfolgt. Dabei hätte man manchen Beitrag eher in Duisburg oder Leipzig erwartet als auf einem Medienkunstfestival. Ausgehend von der Annahme, jedes Filmbild sei ebenso Dokument wie Experiment, präsentierte sich das Programm als allzu bunte Mischung der Genres. Statt selbstreflexiver Verschränkung ein analytisch unscharfes Nebeneinander. Da traf das schwarzweiße Kurzporträt eines alten Mannes in bester osteuropäischer Tradition auf fernsehgerechte Features über stalinistische Fotofälschungen, Klaus Wybornys still-monologisches Seestück „Eine andere Welt“ auf ein Omnibusprojekt über schwul-lesbisches Selbstverständnis („Fucking Different“) und strukturelle Flickerfilme auf Performance-Dokumentationen.
Eine Werkschau Harun Farocki bot zumindest einen Ausblick auf Formen des dokumentarischen Experiments. Sein Versuch allerdings, mithilfe einer einfachen Video-Doppelprojektion seines Materials das Terrain der bildenden Kunst zu betreten, scheiterte ebenso wie manch andere Black Box in der Ausstellung, die den Besucher für einige Minuten an Holzbank oder Sofa fesselte und die Frage aufkeimen ließ, warum simple Videodokumente allein durch die Projektion in einem Kunstkontext zu Medieninstallationen geadelt wurden.
Da öffnete sich mit dem Stargast Peter Greenaway und seinem Multimediaprojekt „The Tulse Luper Suitcases“ ein ganz anderes Universum von Überlegungen. Brillant und provokant stellte er in seinem Vortrag das soziale Erlebnis Kino in Frage und sagte der „Tyrannei durch Bildformat, Text, Schauspieler und Kamera“ den Kampf an. Es gäbe zu viele Dirigenten und zu wenige Komponisten auf der Leinwand, und seine Arbeit hätte mittlerweile mehr Ähnlichkeit mit einer Website als mit einem Bergman-Film. Überhaupt nutze er das Kino nur noch als Werbemedium für seine interaktiven DVDs.
Einen ähnlich offenen Weg deutete Hartmut Jahn mit seinem noch unfertigen Fluxus-Projekt an, das nicht nur aus einer historischen Kunstdokumentation besteht, sondern auch eine mehrkanalige Monitorinstallation mit interaktivem Anteil umfasst. Sein Ziel ist eine Film- Bild- und Tondatenbank, die individuell benutzbar ist und alles verfügbare Material über diese Kunstrichtung der sechziger Jahre anbietet.
Im Angesicht von 25 Jahren Festivalgeschichte drängen sich Fragen nach den Veränderungen und Entwicklungen im Experimentalfilm auf – falls dieser Begriff überhaupt noch Sinn macht. Der fast vollständige Übergang vom Film zu elektronischen Bildträgern im Hauptprogramm ließ allerdings den einstmals erwarteten revolutionären ästhetischen Umbruch durch die Videotechnik vermissen. Dass statt optischer Bank, Mehrfachbelichtung und mühsamer Schneidetischarbeit heute die digitale Bildverarbeitung vorherrscht, ist in den visuellen Effekten auf der Leinwand nur selten zu spüren. Vielleicht muss das aber auch gar nicht sein.
Nostalgische Gefühle kamen auf, wenn man in einer der frisch-frechen studentischen Installationen in einer Sonderausstellung noch einen Super-Acht-Projektor vor sich hin schrammeln hörte. Und in der Abschlussveranstaltung konnte man sogar zwei 16-Millimetergeräte anfassen, die ratternd wie ehedem das Gemeinschaftswerk „Triage“ von Michael Snow, Carl Brown und John Kamevaar auf die Leinwand warfen, eine Ton- und Bilderflut des guten alten „expanded cinema“. Den Preis der Deutschen Filmkritik für Experimentalfilm erhielt Altmeister Wilhelm Hein, der seinem eigenen Filmtitel „You killed the Undergroundfilm“ das genaue Gegenteil bewies.
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