Rede zur Eröffnung der Ausstellung "Bonasus like America?" im Maison de Bourgogne, Mainz, am 07. September 2006
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
eigentlich überflüssig zu sagen: Sie befinden sich in einer der ungewöhnlichsten Ausstellungen, die je im Haus Burgund stattgefunden haben, mehr noch: die hier gezeigten Arbeiten stellen in ihrer provokativen Konsequenz fast alles in den Schatten, was in Mainz bisher zu sehen war.
....mit ungefähr diesen Worten begann ich an dieser Stelle schon einmal eine Einführungsrede, vor zwei Jahren, für Pierre-Yves Magerand.
Wieder einmal ist Mélita Soost mutig gewesen und hat einem Künstler völlige Freiheit eingeräumt.
Thomas Monin konfrontiert uns in seiner Installation, die er speziell für das „Haus Burgund“ angefertigt hat, mit Objekten extremer Spannweite, was die materielle Struktur, den Herkunftszusammenhang, aber vor allem auch das assoziative Feld angeht, in dem die Dinge ihre emotionale Wirkung und ihre intellektuellen Fragestellungen entfalten.
Haben Sie vielleicht beim Vorstoß in die Vernissagengesellschaft und beim Begrüßen der Stammgäste schon das erste Element übersehen, draußen im Schaufenster?
Ein menschlicher Schädel hängt dort, in Augenhöhe, geformt aus einem Drahtgeflecht, gelb und orange, und es ist gut, dass dieses Schaufenster nicht betretbar ist, denn Sie würden bei Berührung des Objekts einen elektrischen Schlag bekommen. Am Draht liegt Hochspannung an, 10 000 Volt, erzeugt durch einen Generator. Dass er funktioniert, zeigt ein Blinklicht am Gerätefuß.
Spätestens jetzt wird es unheimlich. Ängste werden unterschwellig aktiviert. Das Wissen um die Gefährlichkeit des Objekts reicht aus, niemand will es ausprobieren. Und die Assoziationsmaschine läuft: Schädel, Tod, Vergänglichkeit, eines der vielen Vanitas-Symbole unserer Kulturgeschichte. Das Ganze vielleicht ein modernes Stillleben? „Stillleben mit elektrischem Schädel und totem Büffel“ oder so...
Sieht andererseits cool aus, das Ding. Hat was von Elektronik, Schaltplänen, High Tech und sauberer Informationsverarbeitung. Ein Hirnmodell vielleicht, elektrisch stimuliert. Vielleicht ein bisschen zu sehr, Hochspannung eben.
Elektroschocks? Versuch, falsch funktionierende Gehirne wieder auf die richtige Bahn zu bringen? Auf jeden Fall: „Don’t touch!“, besser nicht anfassen. Kunst sowieso besser nie anfassen! Nur schauen! Und sich von ihr vor allem nicht anfassen lassen!
Was ist denn das überhaupt für ein Zeug, diese orange-gelben Drähte und der kleine Apparat? Sieht industriell produziert aus, kann man vielleicht fertig kaufen. Nur ein Stichwort: WEIDEZAUN, und Sie wissen, worum es geht.
Ich verlese die entsprechende Definition aus der Internet-Enzyklopädie Wikipedia:
„Ein elektrischer Weidezaun ist eine besondere Bauart eines Weidezauns, bei dem an den Zaunpfählen an Isolatoren befestigte spezielle Elektro-Drahtseile, Elektro-Breitbänder oder blanke Drähte angebracht sind. Die Drähte können als verzinkte Stahldrähte oder als dünne, ca. 0,2–0,3 mm stark, in Kunststoffgewebeband oder Kunststoffschnur eingebettete bzw. eingewebte Drähte vorliegen. Die Drähte des elektrischen Weidezauns werden über Zangen oder Klemmen mit einem sog. Elektrozaungerät verbunden, das ungefährliche Hochspannungsimpulse kurzer Dauer erzeugt. Würde ununterbrochen hohe Gleichspannung anliegen, könnte es bei Tier und Mensch zu gefährlichen Muskelkrämpfen kommen. Um die Hütespannung möglichst hoch zu halten, dürfen Grashalme und andere leitfähige Gegenstände die Bänder und Drähte nicht berühren. Die Hütespannung sollte mindestens 2000 Volt, darf aber höchstens 10.000 Volt betragen. Zwischen den einzelnen Impulsen sollte mindestens eine Sekunde Pause liegen.“
...womit wir beim Büffel wären.
Ebenso unheimlich.
Tierische Kraft.
Wie der guckt!
Ist ja irgendwie ganz niedlich, wenn er tot ist. Kuschelweich. Und so friedlich. Braucht keinen Zaun. Kann man streicheln.
Was ist eigentlich da drin? Leder und ein Stahlgerüst. War mal Leben: Ein Gehirn zum Beispiel. Hatte auch mal den Geschmack von Freiheit und Abenteuer, so als Idee...
In dieser französischen Ranch, wo er gezüchtet und geschlachtet wurde. Vielleicht kannte er auch die Weidezäune.
Vor allem aber ist er, Verzeihung: war er ein Fleischberg. Eine Produktionsanlage für Feinschmecker. Vergessen wir Schweinepest, Rinderwahn und Hühnerfieber. Man isst heute Damwild, Strauß und Büffel. Gammelfleisch? Ach was!
(Kennen Sie übrigens diesen Biobauern im Taunus, der die Original Charolais-Rinder hat? Alles freilaufend, artgerecht und barrierefrei!)
Ach ja, Verzeihung, wir waren ja bei den Drähten.
„Tiere und Elektrik“ ist übrigens auch ein interessantes Thema. Sie kennen doch diese Fliegenfallen in den Metzgereien mit den blauleuchtenden Röhren? Bei Berührung macht es „Klick“ oder „Peng“, und niemand braucht die Hand zu heben.
Oder in der Forellenzucht: Nachdem Sie Ihr Objekt der Begierde im Becken ausgesucht haben, lebend natürlich, wird es in ein elektrisches Bad umgebettet, ein Knopfdruck, und das Tierchen gehört Ihnen und Ihrer Küche, fangfrisch und ohne Blutvergießen.
Na ja, lassen wir das mal, Sie wollen ja noch essen...
Ganz neutral, niedlich und unverfänglich haben wir hier noch die kleinen Drahtobjekte an der Wand. „Hochets electriques“, elektrische Rasseln oder Spielzeuge nennt Thomas Monin sie. Das Material kennen Sie schon, ist jetzt doch nicht mehr so neutral wie beim ersten Blick, hat seine Unschuld verloren.
Aber kein Generator dran, kann man anfassen und ist nur Spielzeug, übrigens alles getestet von der Katze des Künstlers persönlich. Reine Phantasieobjekte, so wie wir es in der Kunst am liebsten haben. Da und dort ein Bällchen, vielleicht auch eine Brezelform (- das nennt man übrigens „ortsbezogene Installation“ -). Beachten Sie auch den Mercedes-Stern. Selbst ein Vögelchen sitzt dort oben auf der Lichtschiene.
[Redner zieht eine aufziehbare Spielzeugmaus aus der Tasche, die ins Mikrofon summt]
Gemeint ist so etwa: „Die sinnentleerte Sinnhaftigkeit“ – Wer mit Katzen zu tun hat, weiß, was ich meine.
Nun blicken Sie Ihrem Tier mal in die Augen, meinetwegen dem Büffel da (das Auge ist aus Plastik) und fragen sich: Wer sind wir eigentlich? Was macht uns zum Herrscher der Welt? Thomas Monin hat dazu seine Gedanken auch selbst niedergelegt, in dem Text, der hier zweisprachig ausliegt und den ich Ihnen dringend empfehle.
Darin wird auch der Titel der Ausstellung erklärt.
Ich muss Ihnen ja schließlich nicht alles erklären! Seh’ ich gar nicht ein!
Ach ja: Das Büffet ist eröffnet. Wohl bekomm’s!
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